1905 wurden die Breitenseer Lichtspiele als Zeltkino von den beiden Wanderkinobetreiber:innen Theresia und Eduard Guggenberger in der Nähe des heutigen Standortes gegründet (Breitenseer Straße 43). Nachdem das Ehepaar in die Breitenseer Straße 21/15 gezogen war, verlegte es auch seinen Kinobetrieb in das Jugendstileckhaus. Genutzt wurden dafür zwei zusammenliegende Straßenlokalen, in denen man unter dem Namen Breitenseer Kino ein typisches Ladenkino mit schmalem, lang gestrecktem Kinosaal zu eröffnete. Nach nur zwei Jahren verkaufte das Unterhaltungsunternehmer:innenpaar ihren Betrieb an ihren Nachbarn Heinrich Grün (Breitenseer Straße 23a/1/5–6) und übersiedelte nach Hainburg. Die ersten erhaltenen Akten des Stadt- und Landesarchives gehen auf das Jahr 1914 zurück, in dem Heinrich Grün die Lizenz zur Führung des Kinos bis 1917 erteilt wurde. 1919 bemühte sich Grün erneut um einen Transfer der Lizenz, diese Mal auf die Hütteldorfer Straße 105; doch seine Bemühungen, einen besseren Standort für sein Kino zu finden, scheiterten letzten Endes. Heinrich Grün blieb auch nach dem Inkrafttreten des neuen Wiener Kinogesetzes im Jahr 1926 Konzessionär und Besitzer des Kinos; aus einem Antrag aus dem Jahr 1928 geht hervor, dass er das Kino „seit 1911 persönlich geführt“ hatte. Von Mitte Juli bis Mitte August 1930 gestaltete Grün sein Kino für die Nutzung als Tonkino um; die letzten Stummfilme vor dem Umbau hießen u. a. Eine schamlose Frau (mit Greta Garbo), Wenn Du einmal Dein Herz verschenkst (mit Lilian Harvey), Frau im Mond (mit Willy Fritsch) und Die Frau, nach der man sich sehnt. Am 15. August wurde das neue Wiener Tonkino unter dem Namen Breitenseer – Ton – Kino wiedereröffnet.

Alleinige Leitung Anna Grün, spätere Anna Wolfschütz Heinrich Grün starb im Februar 1938, sodass das Kino von da an uns bis zum 13. März 1938 von seiner Witwe, Anna Grün (geb. Pollak), geführt wurde. Anna Grün war somit zum Zeitpunkt des „Anschlusses“ sowohl Alleineigentümerin wie auch Konzessionärin. Grün heiratete in der Folge erneut und änderte ihren Namen auf Anna Wolfschütz; ab März 1938 war sie „Anwärterin der NSDAP“, ab 1941 Parteimitglied. An der Fassade des Kinos steht nun der neue Name in vorbildlicher NS-Diktion und in moderner Leuchtschrift: „Breitenseer Lichtspiele“.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Kino, das am 24. April 1945 wiedereröffnet wurde, aufgrund der NSDAP-Mitgliedschaft der früheren Besitzerin Anna Wolfschütz ab 1. Oktober 1945 vorübergehend unter öffentliche Verwaltung (Dekret der Mag.Abt. VII/3 v. 17.9.1945) gestellt, zuerst durch Franz Navratil (22. Juni bis 30. September 1945), der zugleich auch als Geschäftsführer fungierte; danach durch Dr. Alfred Migsch (ab 1. Oktober 1945).
In einer „Bestätigung“ der Sozialistischen Partei Österreichs von 26. Juni 1945 hieß es: „Es wird bestätigt, dass gegen Frau Anna Wolfschütz, geborene Pollak, verw. Grün, Kinobesitzerin, Wien XIV., Breitenseer Straße 23A, nichts Nachteiliges vorliegt und dass gegen die Weiterführung des Betriebes durch sie unsererseits kein Einwand erhoben wird, wie denn auch unsererseits kein Interesse an einer öffentlichen Verwaltung dieses Unternehmens besteht.“

Am 15. Juli 1947 wurde das Kino wieder an Anna Wolfschütz übergeben und Dr. Alfred Migsch als öffentlicher Verwalter abgezogen. Begründet wurde dieser Schritt damit, dass „im Sinne des Nationalsozialistengesetzes vom 6.2.1947, BGBl. Nr. 25/47“ die „Behandlung der Nationalsozialisten ausschließlich nach den Normen des NS-Gesetzes durch die hierfür zuständigen Behörden zu erfolgen“ habe und daher ab dieser Zeit „öffentliche Verwalter“ nur noch „aus dem Grund des § 2 lit a des Verwaltungsgesetzes“ zulässig waren.

Geschäftsführerin war zu diesem Zeitpunkt die 1921 in Wien geborene Margarete „Grete“ Navratil , bis zu diesem Zeitpunkt Filialleiterin der Firma Meinl, die ab Juni 1945 bereits im Kino beschäftigt gewesen war. Navratils Mann Franz war während des NS-Regimes „wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 7 Jahren Zuchthaus verurteilt“ worden und 19 Monate in Haft gewesen, „inkl. 14 Monate K. Z. Mauthausen“, wie aus dem Personalstammblatt der nunmehrigen Geschäftsführerin von 24. September 1945 hervorgeht.

Nach dem Krieg zählten die Breitenseer Lichtspiele, die ihren Namen, anders als die meisten anderen Wiener Kinos, aus der NS-Zeit behielten, zu den beliebtesten Kinos der Gegend, und die Liste der Stammgäste war, so die spätere Kinobetreiberin Anna Nitsch-Fitz 2005 anlässlich des hundertjährigen Gründungsjubiläums, lang – und jeder der Dauergäste hatte seinen persönlichen Sitzplatz, „egal, was gespielt wurde“ (Anna Nitsch). Fenster und Türen waren in einem tiefen Grün gehalten, die Stofftapeten des Zuschauersaales waren beige – und als besonderes Prunkstück galt in den Sechzigerjahren der damals hoch moderne Filmprojektor, der noch heute funktioniert. Das Kino war wie für viele Jugendliche jener Jahre u. a. auch die „Heimat“ des jungen H. C. Artmann. 1956 folgten der Einbau einer neuen Breitwand von 4,4 m x 2,50 m und die Anschaffung von zwei neuen Projektoren; im Jahr darauf wurde eine neue Warmluftanlage mit Gasfeuerung installiert. 1962 folgte der letzte Umbau durch Wolfschütz, die Projektoren für die Projektion von Cinemascope-Filmen einbauen ließ.
1969 erwarb Anna Nitsch-Fitz das Kino, die es bis zu ihrem Tod als Programmkino weiterführt. Nitsch-Fitz stammts aus einer Wiener Kinodynastie, hatte doch ihre Großmutter bereits das Nußdorfer Kino geleitet, ehe diese von Nitschs Vater geerbt wurde. Der hauptberuflich als Tierarzt tätige Wiener hatte jedoch kein Interesse, das nicht mehr gut gehende Kino weiterzubetreiben, und so wurde das Döblinger Kino Anfang 1969 geschlossen – und nach dem Sommer das Breitenseer Kino gekauft, für dessen Kauf Anna Nitsch-Fitz 150.000 Schilling zahlte. Um das Kino auch in den Jahren des Wiener „Kinosterbens“ erhalten zu können, blieb Nitsch-Fitz AHS-Lehrerin und unterrichtete bis zu ihrer Pensionierung Mathematik, Physik, Geometrisches Zeichnen und Informatik am Gymnasium Possingergasse. Ab 1995 leitete die Pensionistin nur noch ihr Kino.
2005 zählte das BSL zu den letzten eigenständig geführten Kinos, die sich in den letzten Jahrzehnten mit mehr oder weniger Erfolg gegen die „Verplexisierung“ der Wiener Kinos wehren konnten. Für die Feierlichkeiten zum 100. Bestehen des Kinos wurden von ihr knapp 150 Filme aus 100 Jahren zusammengetragen. Die Filmschau lief von September 2005 bis Jänner 2006 und zeugt von der enormen Bandbreite, die das kleine Programmkino anzubieten hatte.
Auch wenn wie in vielen Kulturbereichen der Stadt die Förderungen für das kleine Vorstadtkino in letzter Zeit beträchtlich gekürzt wurden, setzte Anna Nitsch-Fitz ihre Arbeit bis zu ihrem Tod fort – „solange ich kann!“, hatte sie wenige Jahre vor ihrem Tod gegenüber der Presse mit Nachdruck und Leidenschaft festgehalten. 2022 übergab Anna Nitsch-Fitz nach einem halben Jahrhundert als Kinobetreiberin ihr Kino an ihre Nichte. Am 3. März 2022 starb Anna Nitsch-Fitz im Alter von 83 Jahren. „Ich war noch nie verheiratet, außer mit dem Kino“ , hatte sie fünf Jahre vor ihrem Tod in einem Interview erzählt.

breitenseer-lichtspiele.at/geschichte
www.nitschi.at/bsl/chronologie.php
Ilse Aichinger: Laudatio auf das Burgkino (2003)
Hans Langsteiner: Eine Weihnachtsgeschichte (2003)
Hundert Jahre ohne Filmriss ((Karin Krichmayr in: Der Standard, Printausgabe v. 26.08.2005)

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