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Eine der bekanntesten Wiener Kinopionierinnen war Irma Handl. Irma Handl betrieb neben ihrer um 1905 erhaltenen ersten Kinematographenlizenz auch die „Erste und größte Film-Leihanstalt der Monarchie“, die später an derselben Adresse zu finden war wie das von ihr geführte Kino. Handl erstes Kino befand sich an der Adresse 15., Mariahilfer Straße 169 und wurde, unterschiedlichen Angaben zufolge, bereits 1905, spätestens jedoch um 1908 eröffnet. Bereits kurze Zeit nach der Eröffnung ihres ersten Kinos verlegte sie 1910 die Kinoräume an die neue Adresse 15., Mariahilfer Straße 160, wobei es sich hier um einen neuen, repräsentativen eigenständigen Kinobau handelte, den Handl selbst als Eigentümerin der Immobilie in Auftrag gegeben hatte. Die Eingänge in den Warteraum befanden sich an der Mariahilfer Straße; von hier aus erreichte man einen großen Kassen- und Warteraum sowie einen dahinterliegenden zweiten Warteraum, von denen aus man durch zwei Eingänge in den großen, beinahe quadratischen Zuschauerraum gelangte. Dieser war in drei Sitzreihengruppen eingeteilt, die ihrerseits durch zwei Gänge an den Längsstrecken und einen ebenso breiten (1,2 m) Mittelgang erreichbar waren. Durch vier Ausgänge, die zur Sperrgasse führten, konnte man das einstöckige Kinogebäude wieder verlassen. Die Wiener Kinobetreiberin selbst bewohnte mit ihrer Familie den gesamten ersten Stock über dem Kino, das 1913 mit einer Sitzplatzzahl von 396 zu den mittelgroßen Kinos der Stadt zählte. Ab diesem Jahr war Ludwig Frieser als Geschäftsführer für Irma Handl tätig. 1920 erweiterte Handl den Fassungsraum auf vorerst geplante 404, schließlich 414 (ein anderer Plan erwähnt 412) Plätze und einen Logenbereich im Hochparterre. 1922 veränderte die vielseitige Kinopionierin das Kino erneut und ließ den vorderen Warteraum zu etwa einem Drittel in einen seitlich von der Bühne gelegenen Orchesterbereich inklusive Podium umbauen. 1925 wurde der neue Umwickelraum kollaudiert. 1927 kam es zu neuerlichen massiven Erweiterungen, indem Handl den Zuschauerraum wesentlich enger bestuhlte, die zwei Zwischengänge auflöste und den Zuschauerraum von nun an in zwei große, rechteckige, 21 Stühle pro Reihe umfassende Blöcke einteilte, die nur noch an den Seiten begehbar waren, wobei die beiden Blöcke weiterhin von der bisher bestehenden Querzeile in der Mitte des Raumes getrennt waren. Auch das Orchester wurde erneut verschoben und im vorderen Warteraum ein Aufgang in die ebenfalls nun bestuhlte Galerie eingebaut, der Fassungsraum von rund 400 nun auf 620 Stühle erweitert (geplant waren zeitweise sogar 775 Plätze), sodass das Handl Kino nun zu den größeren, vielbeachteten Wiener Vorstadtkinos zählte. Die Umbauarbeiten des Jahres 1927 nahmen den ganzen Sommer in Anspruch und gingen schleppender als geplant voran, sodass Handl Mitte September bat, das Kino noch bis „ungefähr Ende September“ geschlossen halten zu dürfen. Wenige Tage später bat Handl um eine Teilkollaudierung der ersten Umbauarbeiten. 1928 vergrößerte die rege Kinobetreiberin ihren Betrieb schließlich noch einmal. Wie aus einem Antrag des für sie in diesem Jahr tätigen Stadtbaumeisters Karl Lubowsky an den Wiener Magistrat hervorgeht, plante Handl nun die Aufstellung von zwei weiteren Sitzreihen im Parterre sowie drei Sitzreihen und einer Logenanlage auf der Galerie, insgesamt 35 Sitze, sowie einen zusätzlichen Galerie-Abgang, der neu im Gebäude eingebaut werden musste. Ein Plan aus demselben Jahr verweist schließlich auf einen Fassungsraum von insgesamt 656 Plätzen. Im selben Jahr kam es zu mehreren Verstößen ihres Geschäftsführers, unter anderem war dieser bei einer Prüfung des Abendbetriebs nicht im Kino anwesend, sondern „im Café Central, um einen Cognac zu trinken, da ihm schlecht geworden sei“. Nachdem der betriebsprüfende Magistratsbeamte bis 22 Uhr gewartet hatte, holte man Frieser aus dem Central. Auf Nachfrage gab der abwesende Geschäftsführer an, er sei im Haydn Kino gewesen, um über einen „Pendel-Film“ zu sprechen; während der Niederschrift des Kontrollberichts kam es schließlich zu heftigen Auseinandersetzungen, im Zuge derer Frieser „gegen den Angestellten eine Drohung ausgestoßen hat“. Am 9. Juni 1929 kam es zu einem Brand, der jedoch relativ glimpflich ausging, nachdem nur ein kleiner Teil der Filmrolle in Brand geraten war. Wie aus dem damaligen Brandbericht von Ing. Bernaschek m. p. hervorgeht, war sowohl die Brandursache unklar wie auch der Brandverlauf ungewöhnlich. Das Kinopublikum bemerkte nichts von dem Vorfall und wurde erst „durch die Verlautbarung des Direktors“ darüber in Kenntnis gesetzt, ehe man nach 20 minütiger Pause die Vorführung des Filmprogramms fortsetzen konnte. Im Dezember 1929 wandelte Irma Handl ihr Kino als eines der ersten Wiener Vorstadtkinos in ein Tonkino um – die Eröffnung des neuen Tonkinos fand am 31. Jänner 1930 statt. Im März folgte der Einbau einer Wechselstromleitung. 1933 ließ Handl eine zusätzliche Stiege zum Podium hin errichten. Das Handl Kino konnte sich auch nach dem Krieg noch halten und schloss gegen Mitte des großen Wiener „Kinosterbens“ im Jahr 1976. Anfang der Neunzigerjahre befand sich hier ein Supermarkt, der bald schon wieder abwanderte, ehe sich dort ein Sportwetten-Lokal und einen Billigmarkt ansiedelten. Aktuell steht das Haus, das zu den letzten erhaltenen eigenständigen Kinogebäuden Wiens zählt, kurz vor dem Abriss durch eine investorengetragene Immobilienkette. Wiener Stadt- und Landesarchiv, © KinTheTop/Angela Heide zuletzt aktualisiert: 3.1.2024 Zitierweise: www.kinthetop.at/forschung/kinthetop_15_HandlKino.html, zuletzt eingesehen [Tag.Monat.Jahr] |