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zuletzt aktualisiert: 02.06.2020 empfohlene Zitierweise: http://www.kinthetop.at/forschung/kinthetop_15_UniversumKino01.html, zuletzt eingesehen [Tag.Monat.Jahr] ![]() Gründung und erste Jahre Das Universum Kino (15., Kriemhildplatz) wurde 1913 (andere Ang.: 1912) in einem typischen Wiener Jugendstilhaus gegründet. Hinter der Errichtung des neuen Kinos, das als „Reformkino“ geführt werden sollte, stand die 1912 im Zuge der großen Wiener Kinoenquete gegründete Gesellschaft „Kastalia“, die ihr inhaltliches Konzept in der Kinematographischen Rundschau so darlegte: „Eher als Proteste, Enquete, Verordnungen und Zensur, die zwar gewissen Gefahren vorbeugen, nie aber an die Stelle des Schlechten das Positive, das Gute setzen können, wird diese Aufgabe die Kastalia erfüllen.“ (Kinematographische Rundschau 225 v. 30.06.1912, S. 4f.) Die Lizenz hatte jedoch ab der Eröffnung die „Erste österreichische Schul- und Reformgesellschaft“ inne. Deren Präsident war der damalige Bezirksvorsteher, Hof- und Gerichtsadvokat Dr. Josef Mattis, neben ihm im Vorstand agierten der ehemalige Bürgerschuldirektor Josef Kopetzki sowie die Lehrer Adolf Mahal und Josef Gall. Zur Programmgestaltung des bildungsnahen Kinobetriebs wurden zudem Vertreter des Bezirksschulrates in die Leitung delegiert. Das Kino hatte einen quadratischen Raum mit Galerie und fasste an die 800 Personen, galt also zum Zeitpunkt seiner Gründung als eines der größten - und schönsten - Wiener Kinos. Veränderung der Eigentümer*innen-Verhältnisse in den folgenden Jahren Bis 1914 wurde Mattis auch als Besitzer des Kinos genannt, ihm folgten 1914 Hermann Holzwarth, Josef Weinheimer und Ludwig Proschek sowie Heinrich Winkler (alle als Vertreter der Gesellschaft). 1930 wurde hier der Tonfilm eingeführt. 1931 kaufte der 1896 in Baden bei Wien geborene Kaufmann Franz Schäfer das Kino, verkaufte es jedoch bereits 1932 an den pensionierten Beamten Dr. Josef Förster. 1932 ging das Kino in den Besitz von Karoline Hutter über. Die Kinolizenz bzw. ab 1926 -konzession blieb bis 1932 bei der „Ersten österreichischen Schul- und Reformgesellschaft“, In diesem Jahr übernahm die neue Eigentümerin Karoline Hutter auch die Konzession. 1934 kauften Antonie Firschirl, Hedwig Feigl (auch: Veigl) und Marie (auch: Maria) Chuchla den Betrieb. Bis März 1938 war das Kino in deren Besitz, und zwar in folgender prozentueller Aufteilung: Antonie Firschirl: 30%; Hedwig Neubarth: 45 %; Marie Chuchla (25 %). Die Konzession zur Führung des Kinos hatte Hedwig Feigl/Veigl, verheiratete Neubarth. ![]() ![]() Teil-„Arisierung“ Die Besitzverhältnisse änderten sich mit dem „Anschluss“ folgendermaßen, wie aus einem Bericht nach 1945 hervorgeht: „Antonia Firschirl (nach den Nürnberger Gesetzen Mischling 1. Grades) musste ihren 30%-Anteil an die übrigen Gesellschafter freihändig [!] verkaufen. Auf Grund interner Vereinbarungen nach dem Tod eines bisherigen Miteigentümers (Emmerich Feigl) änderten sich auch die Anteile der übrigen Gesellschafter.“ Die neuen Besitzverhältnisse ab dem 13. März 1938 sahen daher wie folgt aus: Eigentümerinnen waren nun Hedwig Feigl/Veigl (für ihren verstorbenen Emmerich Veigl): 30 %; Hedwig Neubarth (Tochter von Hedwig Feigl/Veigl): 35 %; Marie und Martin Chuchla: 35 % zu je 17,5 %). Inhaber*innen der Spielbewilligung der Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, waren alle drei (resp. vier) Teileigentümer*innen. Hedwig Neubarth war ab Juli 1938 (andere Angaben: 1939) Anwärterin auf die Mitgliedschaft bei der NSDAP, Marie Feigl/Veigl wie auch Marie Chuchla und ihr Mann Martin Chuchla waren hingegen keine Parteimitglieder. 1942 wurde das Unternehmen in eine offene Handelsgesellschaft mit der Bezeichnung „Universum-Lichtspiele – Neubarth & Co.“ umbenannt. Wie aus den Unterlagen der Reichsfilmkammer hervorgeht, war Firschil, die als „stille“ Teilhaberin des Kinos galt, gezwungen worden, einen „Ariernachweis“ vorzulegen. Nachdem diese das nicht getan hatte, wurde Firschil denunziert und die Außenstelle der Reichsfilmkammer eingeschalten. Am 6. Dezember 1938 wurde schließlich ihr „stiller Anteil“ von 30 Prozent den beiden anderen Teileigentümerinnen „zur Arisierung zugewiesen“. (Vögl 2018, S. 341) Die Tochter von Martin und Marie Chuchla erinnerte sich im Herbst 2019, dass ihre Mutter gezwungen wurde, Juden und Jüdinnen den Eintritt in das Kino zu verweigen, von denen viele Nachbar*innen bzw. naheliegende Geschäftstreibende waren. 1939 wurde der Betrieb erneut stark umgebaut. Neben neuen Logen wurden Polstertüren eingebaut sowie eine moderne Vorführtechnik für den florierenden Betrieb angeschafft. In seinen besten Zeiten hatte das Universum Kino neben der Kinoleitung 2 Kassiererinnen, 1 Telefonkraft, 1 Garderobiere sowie eine eigene Toilettenfrau. Es gab ein großes Buffet mit frischen Torten und Süßigkeiten, und die Kinokarten wurden in derselben Druckerei gedruckt wie jene der Wiener Staatsoper. ![]() ![]() ![]() Nachkriegszeit Das beliebte Bezirkskino wurde nach Kriegsende relativ bald wiedereröffnet (1. Juni 1945). Ab September 1945 wurde Rudolf Mader als provisorischer Leiter bestellt, ab 1. Oktober 1945 wurde das Kino unter die öffentliche Verwaltung von Dr. Alfred Migsch gestellt, Geschäftsführerin war Maders Frau, Emilie Mader (geb. Hagn, Jg. 1907). Bereits im September 1945 legten Martin und Marie Chuchla, Hedwig Neubarth und Hedwig Veigl Einspruch gegen die öffentliche Verwaltung ein und begründeten dies damit, dass ein Teil von ihnen keine Parteimitlieder gewesen waren und Neubarth ihrerseits als Gesellschafterin gelöscht werden würde. Letztere Begründung war für Migsch zu diesem Zeitpunkt kein Grund für eine Rückgabe, zumal, so der öffentliche Verwalter, der Zweck dahinter offensichtlich wäre. Bereits 1945 stellt zudem auch Firschirl, die den Krieg überlebt hatte, den Angaben ihrer einstigen Miteigentümer*innen somit widersprechend, einen Antrag auf Wiedergutmachung. Dennoch wurde schließlich am 1. Juli 1947 die öffentliche Verwaltung aufgehoben und das Kino an die ehemaligen Eigentümer*innen zurückgegeben. Als Begründung wurde in diesem Falle Folgendes angeführt: „Es wurde festgestellt, dass die offenen Handelsgesellschafter des Unternehmens, Martin und Marie Chuchla, auf Grund der vorgelegten Bescheinigung der zuständigen Registrierungsstelle nach dem Verbotsgesetz 1945 nicht registriert sind. Aber selbst dann, wenn ihre Registrierungspflicht nach dem Verbotsgesetz 1947 gegeben wäre, ist vom Tage des Inkrafttretens des Nationalsozialistengesetzes, das ist der 18.2.1947, die Bestellung von öffentlichen Verwaltungen nicht mehr zulässig.“ (Aus dem Akt geht zudem hervor, dass wohl auch der Antrag Fischirls auf Rückstellung noch nicht zu ihren Gunsten erledigt worden war bzw. es nicht so aussah, als würde sie aufgrund des „freien Verkaufes“ von 1939 dazu berechtigt sein.) In den folgenden Jahren wurde das Universum Kino v. a. von der Gemeinde Wien nicht mehr als eines der „ersten“ Wiener Kinos geführt. Die Tochter der einstigen Eigentümer Chuchla erinnerte sich in einem Gespräch 2019 daran, dass wöchentlich bei einer Versammlung der Filmunternehmer die Filme für ganz Wien verteilt wurden. „Die Stadt vergab dann die ,großen' Filme erst an ,ihre' Kinos [gemeint sind hier die Kinos der KIBA, Anm.] Da die Menschen nach dem Krieg flexibler wurden, hatten sie oft die Filme schon gesehen, wenn sie in die Randbezirke kamen. Übrig blieben dann nur die kleinen Zugabenfilme. Das bedeutete, dass man vom Verleih nur einen ,großen' Film - heute Blockbuster oder so - bekommen hat, wenn man so und so viele kleine unbedeutende Filme genommen hat.“ ![]() Schließung & Nachnutzung Am 20. (and. Ang.: 22.) Februar 1970 wurde das Kino geschlossen. Der letzte Film, der hier gezeigt wurde, war die Komödie Die Kaktusblüte mit Ingrid Bergman und Walter Matthau. Bald darauf zog lange Zeit eine Filiale der Supermarktkette „Löwa“ ein, wobei man noch die Leinwand sehen konnte. Danach zog eine Filiale der „Etsan“-Supermarktkette ein. Im Zuge des Umbaus wurde eine Zwischendecke eingezogen und die alte Leinwand entfernt. „Einzig geblieben ist das Vorführerkammerl im Hof von Haus Nr. 6“, erzählte im Frühjahr 2020 eine weitere Wiener Zeitzeugin, die einen Großteil ihrer Kindheit im Kino ihrer Verwandten verbachte. Quellen Wiener Stadt- und Landesarchiv, Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, A1 – Kinoakten: 137 Universum-Kino Wiener Stadt- und Landesarchiv Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 119, A27 - ÖV Kino: K100 Universum-Lichtspiele Wiener Stadt- und Landesarchiv Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 104, A11: 15. Universum-Kino Die Fotos stammen aus Privatbesitz. Literatur Werner Michael Schwarz: Kino und Kinos in Wien. Eine Entwicklungsgeschichte bis 1934. Wien: Turia & Kant 1992, S. 31 u. S. 267. Klaus Christian Vögl: Angeschlossen und gleichgeschaltet. Kino in Österreich 1938-1945. Wien et al.: Böhlau 2018, S. 341 sowie allg. dazu S. 158. Dank Für die Aufzeichnungen der Tochter von Martin und Marie Chuchla bedanken wir uns bei Frau Dagmar Fiala. < zurück |