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Gründung und erste Jahre
1907 wurde der „Wr.(iener) Bioskop“, der sich auch „Bioskop Kinematograf“ nannte, vom 1859 in Prag geborenen Konzessionär und „Direktor“ Gustav Altschul gegründet und im Dezember desselben Jahres in den Räumen des Café Atlantis im „St. Pöltener Hof“ eröffnet.
Das Kino befand sich gleich gegenüber dem Hotel Astoria in der Kruger Straße, nahe der Kärntner Straße, bot die „Vorführung lebender Bilder“ - und mehr noch: „Nur Novitäten!“ Die „ununterbrochenen Vorstellungen“ der „unbedingt dezenten Familien-Programme“, wie eine Ankündigung aus den frühen Jahres des populären Bioskop versprach, liefen täglich, an den Wochenenden und an Feiertagen gab es sogar Vormittagsprogramme. Um das gehobene Ambiente des Kinos noch hervorzuheben, wurde es von den Besitzern als „vornehmstes Kino-Theater“ der Stadt bezeichnet und so stillvoll eingerichtet, dass in den folgenden Jahren sogar Mitglieder des Kaiserhauses das Bioskop besuchten.

Konzessionäre, Eigentümer:innen und Geschäftsführer bis 1938
Von 1909 bis 1923 hatte die Konzession Simon Koch inne, ehe sie 1923 von Josef Wilhelm Popelka übernommen wurde, der diese jedoch 1926 erneut an Simon Kochs Sohn, Erich Koch, übergab.

Das Kino selbst wurde von Altschul, der 1911 das Liesinger Stadt-Kino-Theater in der Parschegasse 2 gründete, 1912 an dessen Schwiegersohn Friedrich Gold übertragen, dem von da an auch das gesamte Haus gehörte, ehe dieser im Jahr darauf Gebäude und Kinobetrieb an die Familie Koch-Fischer weiterverkaufte.

Die Anteile des nun als „Kruger Kino“ bekannten Innenstadtkinos teilten sich mit Stand 1926 folgendermaßen auf:
Bertha Koch (Ehefrau von Simonn Koch): 3/12
Martha Fischer, geb. Koch (Tochter): 3/12
Franz Fischer (Ehemann Martha Fischers): 2/12
Marie Koch: 2/12
Maria Thurner: 2/12 (Geschäftspartnerin von Franz Fischer)

Als Geschäftsführer fungierte von 1923 bis 1926 Josef Wilhelm Popelka, danach bis 1932 Erich Koch und von 1932 bis 1938 Martha Fischer. Gezeigt wurden, hieß es auch weiterhin in den Annoncen, in den folgenden Jahren nur „erstklassige“ Filme.

1929 bemühte sich, wie in anderen Fällen auch, die Eigentümerfamilie dieses Kinos um einen größeren Standort, doch wurde auch in diesem Falle das Ansuchen abgelehnt und die Pläne bald fallengelassen. Ab März 1931 spielte man auch im Kruger Kino Tonfilme, sodass sich das Kino für einige Zeit in „Kruger Tonkino“ umbenannte, der erste hier gezeigte Tonfilm war Liebesmanöver (D 1930).



Zu einem der größten „Hits“ der Zeit wurde 1937 die Verfilmung von Sascha Guitrys Eines Schwindlers, der hier 29 Wochen en Suite lief und für Besucherantrag sorgte, den das Kruger Kino nie zuvor noch erlebt hatte.

„Anschluss“, „Arisierung“ um Umbenennung des Betriebs
Im Falle der Kruger Kinos kam es nur wenige Tage nach dem „Anschluss“ zu einem innerfamiliären Rettungsversuch des eingeheirateten katholischen Teilhabers Franz Fischer. Der bisherige jüdische Kinobetreiber Erich Koch, Fischers Schwager, hatte bereits 1936 die Geschäftsführung an seine Schwester Martha übergeben. Koch trat nun von der Konzession zurück, die er an den „Arier“ Fischer übertrug, während dessen jüdische Frau Martha ihm die Geschäftsführung abtrat.
Im Oktober 1938 folgte die Scheidung des Paares, sodass Fischer hoffte, den Betrieb halten zu können, zumal er angab, bereits 1930 von Koch die Konzession angeboten bekommen zu haben und zudem über Dreiviertel des Eigentums verfüge. Doch die Bemühungen der Familie schlugen fehl: Als provisorischer Leiter wurde auch in diesem Fall Dr. Peter Zimmer, Leiter der Außenstelle Wien der Reichsfilmkammer bestellt, ehe der zu diesem Zeitpunkt weiterhin hervorragend gehende Innenstadtbetrieb an die beiden (illegalen) NSDAP-Mitglieder und Teilnehmer des Juliputsches von 1934 Hans Hammer und Josef Fleischer überging.

Ab 1. November 1938 führten Hans Hammer und Josef Fleischer „mit Zustimmung der Treuhandgesellschaft der Reichsfilmkammer“, Außenstelle Wien, das Kruger Kino, wobei diese sowohl den Mietvertrag inne hatten wie auch gemeinsam die Spielbewilligung führten.

Wie im Falle von Kinos, deren jüdische Eigentümer:innen nicht bereit waren, diese umgehend aufzugeben, vorzugehen war, wurde in einer Reihe interner Sitzungen der Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, besprochen. In einem Schreiben Ing. Hannes Blaschkes als „Beauftragten für die NS-Betreuungsstelle für den Bereich des Gaues Wien“ an Dr. Hammer als Leiter der Außenstelle von 20. Oktober 1938 machte Blaschke gegenüber Hammer noch einmal deutlich, was besprochen und wie vorzugehen war:

Arisierung des Kruger-Kinos durch die Pg. Fleischer und Hammer.
Werter Parteigenosse!

Ich bitte Sie in Sachen dieser Arisierung nun vielleicht einige Belehrungen bzw. Aufklärungen Ihrem Herrn Gunderloh zukommen zu lassen.

In den letzten und vorletzten Arisierungssitzungen ist in Ihrer und Dr. Zimmers Anwesenheit vereinbart worden, in welcher Weise gegen jene jüdischen Kinobesitzer vorgegangen werden soll, die nicht bereit sind, trotz Aufforderung zu einem Kaufabschluss die Hand zu bieten. Es wurde damals vereinbart, dass im Falle der Unmöglichkeit, das Kino infolge der angehäuften Lasten zu übernehmen, die Kinos in den Konkurs getrieben werden und dass in jenen Fällen, in denen die Kinos übernehmbar sind, der Jude aber nicht verkaufswillig ist, die von der Vermögensverkehrsstelle eingesetzten Kinobewerber mit dem Hausherrn einen Mietvertrag abschließen und den Juden vor die Türe setzen.
Dieser Weg wurde vom Rechtsberater der Vermögensverkehrsstelle für Kinoangelegenheiten,
der bei jeder Sitzung anwesend ist, nämlich von Herrn Dr. Bernwieser, den Pg. Fleischer und Hammer empfohlen. Diese schlagen diesen Weg ein, erschienen dann bei Herrn Gunderloh und dieser erklärte ihnen kühl, dass sie Straßenräuberei betreiben.
1. pflegen nun Putschisten im Allgemeinen keine Straßenräuber zu sein!
2. pflegen die Herrn Hammer und Fleischer im Besonderen keine Straßenräuber zu sein;
3. ist auch Dr. Bernwieser kein Straßenräuber, sondern ein von der Vermögensstelle bestellter Anwalt, und
4. kommen wir mit der Arisierung nicht weiter, wenn von Seiten Angehöriger der Filmtreuhandgesellschaft dieses Kapitel in einem derartigen Stil behandelt wird.

Ich bitte Sie daher, hier nach dem Rechten zu sehen. Wir wollen wohl gleich festhalten, dass es überflüssig ist, wenn Herr Gunderloh erklärt, er werde mit Dr. Zimmer sprechen, das gehe nicht. „Es“ geht nämlich alles, wenn man will; und „es“ wird auch dies gehen.

Heil Hitler!
Ihr
gez. Petrak
(Ing. F. Petrak)



Erich Koch war zu diesem Zeitpunkt bereits aus Wien geflohen und in Buenos Aires angekommen. Das gesamte Kinoinventar war jedoch immer noch, hielt Dr. Bernwieser fest, in Besitz des „jüdisch versippten Fran Fischer “, der eine am 27. Mai 1938 unterzeichnete Vollmacht besaß, wonach er, Fischer, Koch in allen Angelegenheiten vertreten dürfe. Da sich Fischer auch Ende Oktober 1938 noch weigerte, das Kinoinventar an die beiden „Ariseure“ ohne Weiteres zu übergeben, beschloss Dr. Bernwieser folgendes Vorgehen:
„1. dem bisherigen Mieter der Kinoräume Erich Koch hat die Hausverwaltung mit 2. Oktober 1938 gekündigt,
2. der neue Mietvertrag wurde mit Hans Hammer und Josef Fleischer mit Wirkung vom 18. Oktober geschlossen.“

Zudem empfahl Bernwieser den neuen „Eigentümern“, das Inventar schlichtweg aus dem Kino zu räumen und „widrigenfalls auf Kosten des Juden Koch bei einem Spediteur“ zu hinterlegen. Fischer sollte parallel dazu der Ankauf um 4.000 RM bis zum 1. November 1938 angeboten werden. Um diesem „den Ernst der Lage klar zu machen und mit den Abschluss zu erleichtern“, ließ sich Dr. Bernwieser zeitgleich als „Treuhänder für das Kruger-Kino bestimmen“, um so rascher für die beiden „Parteigenossen“ agieren zu können.

Fischer selbst wurde der „hebräischen Schiebung“ beschuldigt und inhaftiert, nachdem ihm die beiden „Ariseure“ als „Juden-Helfer“ denunziert hatten.

Am 16. Jänner 1939 stimmte Zimmer der „Arisierung“ offiziell zu, nachdem Hammer und Fleischer Gebäude wie Kino übernommen hatten. Die beiden hielten von nun an bis April 1945 sowohl den Betrieb in ihrem Besitz wie auch die Spielbewilligung, ab 1943 als OHG, an der als einzig verbleibende ehemalige Miteigentümerin auch Maria Thurner mit 1/6-Anteil beteiligt war.

Als Geschäftsführer fungierte bis 1940 Hans Hammer, von 1940 bis Kriegsende Josef Fleischers Ehefrau Anna Fleischer, nachdem beide „Ariseure“ zum Kriegsdienst einzogen wurden.

In der Zeit des Nationalsozialismus zeigte das Kino - ab 1940 nach dem Vorbild der „Berliner Kurbel“ unter dem Namen „(Wiener) Kurbel“ - vorwiegend Propagandafilme sowie die Kassenschlager der Ufa und Reprisen. Anfang 1945 wurden das Foyer und der Warteraum des ebenerdig gelegenen Kinos durch einen Fliegerbombenangriff zerstört, sodass der Kinobetrieb eingestellt werden musste und in den kommenden Tagen ein Großteil des Inventars geplündert wurde.

Verbleib der ehemaligen Eigentümer und erste Nachkriegszeit
Erich Koch konnte in Buenos Aires überleben. Seine Schwester Martha Fischer wurde 1943 nach Polen deportiert und ermordet. Ihr Sohn Erwin Beer Fischer (Franz Fischers Stiefsohn) überlebte in Seattle.

Am 24. Mai 1945 übernahm mit Franz Sladky ein Freund der Familie Koch/Fischer die provisorische Leitung des immer noch geschlossenen Kinobetriebs. Am 29. September erhielt Sladky aus Seattle eine offizielle Vollmacht Erwin Fischers, weiterhin als Vertreter der Interessen der überlebenden Familienmitglieder Koch und Fischer zu fungieren. Sladky renovierte daraufhin das Kino und konnte es nach achtmonatiger Schließung am 9. März 1946 mit dem US-amerikanischen Film 606 - Die Zauberkugel wiedereröffnen, ein Problem blieb jedoch bis April 1947, da das Kino aufgrund der erhaltenen Schäden kein eigenes WC hatte, was zu mehrfachen Beschwerden seitens des Wiener Magistrats führte, ehe die Sanitäranlagen wieder in Betrieb genommen werden konnten.
Die beiden überlebenden Familienmitglieder, Erich Koch und Erwin B. Fisher (für die 2/12-Anteile seiner Mutter) meldeten bald darauf auch offiziell den Besitzanspruch an, während ab 1946 das amerikanische Militär das Kino übernahm, Sladky jedoch als Verwalter behielt. Am 27. Mai 1947 endete die öffentliche Verwaltung. Erich Koch erhielt die Konzession zurück, Sladky blieb Geschäftsführer, die neuen Betriebseigentümer nannten sich „Erich Koch & Co. OHG“, zu der neben Koch auch Erwin B. Fisher sowie Franz Fischer und weiterhin Marie Thurner gehörten.
Eine Spezialität des Kinos in den ersten Nachkriegsjahren waren Programme ab 9 Uhr morgens sowie Kinder- und Jugendprogramme, so etwa im März 1950 König des Dschungels mit Johnny Weissmüller - einer der „Kassenschlagers“ dieses Jahres.
In den Fünfzigerjahren wurde das Kino erneut technisch aufwändig umgestaltet, eine Breitwand sowie CinemaScope beziehungsweise VistaVision eingebaut und die Bestuhlung von 209 auf 226 erhöht.

Letzte Jahre und Ende des Kinos
Anders als bei anderen Kinos übernahm die stadteigene KIBA das nun wieder Kruger Kino genannte Kino erst 1968, wobei sie das Kino von der Koch-OHG pachtete, erneut renovierte und am 2. August 1968 wiedereröffnete.
1984 bot die KIBA das Kino Horst Röber in Subpacht an, der es weitere zehn Jahre, bis 1994, führte. Röber hatte den Filmverleih Fleur-Film gegründete, danach gemeinsam mit Leopold Blechinger (Jupiter-Film) die City Cinemy Kinobetriebsges.m.b.H. und war neben dem Kruger Kino auch zu 50 Prozent je am City Kino Center (1., Tuchlauben 13) und Urania Kino (Aspernplatz 5) beteiligt. Im Kruger Kino programmierte er vorerst Mainstreamfilme, bald schon ausschließlich Pornoprogramme, ehe er 1989 wieder auf normalen Spielfilmbetrieb umstellte, nachdem ihm die Stadtregierung aufgefordert hatten, den Pornokinobetrieb einzustellen. Ende 1993 verkaufte Röber seine Anteile an der gemeinsamen Firma an Hans-Peter Blechinger (Jupiter Film; 2022: Präsident des Filmarchiv Austria) und gab die Subpacht auf.

Noch einmal versuchte die Kiba, das einst so populäre Innenstadtkino zu retten, indem es das Kruger Kino an Franz Schwartz als neuen Geschäftsführer übergab, der mit dem Stadtkino jüngere Kinoerfolgsgeschichte geschrieben hatte, doch nach nur zwei Jahren musste auch das „neue“ Kruger Kino trotz seiner anspruchsvolleren Programmen seine Versuche eines Erhalts einstellen. Mit Woody Allens Mighty Aphrodite wurde im Dezember 1996 der Spielbetrieb für immer eingestellt.

Zurzeit (Stand: 2022) befindet sich in den Räumen des ehemaligen Kinos eine "American Bar".


























Foto: Anna Heuberger, 2008