1. Kagraner Bioskoptheater/Kagraner Bioskop Theater/Lichtspiele Kagran/Kagraner Kino/Kagraner Ton Kino (ab 1931) Wagramer Straße 126 ? Wagramer Straße 108 (ab 1934) 1220 Wien (davor: 1210 Wien) 1911 gründete der 1864 in Stradonitz (Böhmen) geborene Franz Zikmund in das „1. Kagraner Bioskoptheater“, 22. (damals 21.), Wagramer Straße 126. Zikmund und dessen Frau Johanna waren sowohl Eigentümer*innen des Hauses, Zikmund Besitzer, Betreiber und Lizenzinhaber (ab 1926: Konzessionär) des Kinos. Das Kino war ein kleines, knapp 150 Sitzplätze aufweisendes „Schlauchkino“ im Ecklokal eines Hauses, in dem sich auch andere Straßenlokale und Betriebe befanden. Die Lizenz wurde in den folgenden Jahren laufend an den Kinobetreiber verlängert, und Zigmund blieb auch nach dem Inkrafttreten des neuen Wiener Kinogesetzes im Juni 1926 Konzessionär. 1928 wurde das Kino nach Plänen der Wiener Architekten Völkel, Wien 5., erneut adaptiert und umfasste zu diesem Zeitpunkt 157 Sitzplätze. 1929 starb Franz Zigmund, Johanna Zigmund, die 1873 in Brankovic (auch: Brankowitz) geboren worden war, übernahm die Konzession für das Kino. Erst relativ spät, im Mai 1931, suchte Johanna Zigmund, vertreten durch den Wiener Stadtbaumeister F. Schima, 14., Pereiragasse 28, um die Genehmigung zur Einführung einer Tonfilmanlage an. 1934 suchte Johanna Zigmund um die Genehmigung zum Bau eines neuen Kinos mit 400 Sitzplätzen an der Adresse 22. (damals 21.), Wagramerstraße 108/Ecke Steigenteschgasse, an. Zigmund plante, dafür den von der Gemeinde Wien errichteten Bauplatz von 858 m2 von dieser anzukaufen und den Bau des neuen Kinos selbst zu finanzieren. Sollte das neue Kino genehmigt werden, so versprach Zigmund, im Gegenzug ihr bisher bestehendes wesentlich kleines Kino, das zu diesem Zeitpunkt 168 Sitzplätze aufwies, zu schließen. Die Begründung des Ansuchens beinhaltete den Verweis, dass ein derart kleines Kino wie das „Bioskop Theater“ auch nach dem Umbau ein Tonkino gegenüber der Konkurrenz der damals in Wien bereits zahlreichen Großkinos nicht überlebensfähig wäre. Als neuer Geschäftsführer wurde zudem in den weiteren Akten zur Gründung des neuen Kinos Stephan Zigmund angeführt, der Sohn der Kinogründer*innen, der bereits seit mehreren Jahren im Betrieb tätig war. (Interessant ist ein in den Akten des Wiener Stadt- und Landesarchivs zum „Kagraner Bioskop Theater“ befindliches Schreiben des Gewerkschaftsbundes der österreichischen Arbeiter und Angestellten von 13. November 1934. In diesem wurden von insgesamt sechs Ansuchen um Erteilung von Kino- wie auch Theaterkonzessionen alle bis auf jenes von Zigmund abgelehnt: Jakob Gulden und Franz Wegerer, der ein „Bauerntheater“ im 13. Bezirk erbauen wollte, erhielten keine Theaterkonzessionen. Hans Schwänzel und Leo Redlich keine Kinokonzessionen, und auch Artur Müllners Ansuchen und Gründung einer „Sommerarena“ wurde „mit Hinweis auf den katastrophalen Stand der Theaterbetriebe abgelehnt“.) Das Ansuchen von Johanna und ihrem Sohn Stephan Zigmund wurde 1935 genehmigt. Damit wurde das bisherige Kino am Standort Wagramer Straße 126 geschlossen und noch im selben Jahr das neue Kino an der Adresse Wagramer Straße 108 unter dem Namen „Lichtspiele Kagran“ eröffnet. Ein Bauplan für das neue Wiener Kinoprojekt liegt in den Akten des Wiener- Stadt- und Landesarchivs vor. Die Eigentumsverhältnisse vor dem „Anschluss“ im März 1938 sahen wie folgt aus: Valerie Weber: 7/24 Anteil Hans Apel: 6/24 Anteil Marie Gröschl: 6/24 Anteil Johanna Zigmund: 3/24 Anteil Antonie Olischar: 1/24 Anteil Leopoldine Heinzel: 1/24 Anteil Nach dem 13. März 1938 änderte sich an den Besitzverhältnissen nichts. Der Betrieb blieb in Besitz der Handelsgesellschaft mit dem Namen „Lichtspiele Kagran – Weber, Apel, Gröschl & Co“. Von den 24 Prozent Anteilen waren 15 Prozent in Besitz von NationalsozialistInnen. Nur Johanna Zigmund und Marie Gröschl waren keine Parteimitglieder: Antonie Olischar war ab 1.7.1939, Hans Apel ab Juni 1938, Valerie Weber ab Juli 1938 und Leopoldine Heinzl bereits seit 1928 Mitglied der NSDAP. (Webers Mann, Hugo Weber, war zudem illegaler Nationalsozialist und hatte seinerseits das „Schönbrunner Kino“ „nazifiziert“.) Das Kino wurde mehrere Monate nach Kriegsende am 3. August 1945 wiedereröffnet. Aus einem Schreiben des öffentlichen Verwalters des Kinos ab Herbst 1945, Dr. Alfred Migsch, vertreten durch Dr. Primost, von 15. Oktober 1946 geht hervor, dass weder Marie Gröschl, die zu 6/24 Mitbesitzerin des Unternehmens sei, noch ihr Gatte Alfred Gröschl NSDAP-Mitglieder gewesen seien, gegen Alfred Gröschl jedoch ein Verfahren beim Volksgerichtshof anhängig sei, er demnach auch keinen Anspruch auf eine monatliche Auszahlung aus den Erträgen des Kinos habe. Wie aus einer „Schilderung des bisherigen Geschäftsablaufes“ von Dr. Alfred Migsch von 24. Juni 1948 hervorgeht, sah die Situation ab diesem Zeitpunkt so aus: „Von diesem Zeitpunkt [3.8.1945] bis zu der am 16.10.1945 erfolgten Übergabe an den öffentlichen Verwalter Dr. Alfred Migsch führte der vom Gremium der Österreichischen Lichtspielbesitzer bestellte provisorische Leiter Alfred Gröschl den Betrieb. Vom öffentlichen Verwalter [= Migsch] wurde Hr. Alfred Gröschl, der Gatte einer Miteigentümerin, als Geschäftsführer bestellt. Dem öffentlichen Verwalter gelangte Ende April 1946 zur Kenntnis, dass gegen Alfred Gröschl beim Volksgerichtshof ein Verfahren wegen Kriegsverbrechen läuft. Gröschl wurde daher am 29.4.1946 fristlos entlassen. An seine Stelle wurde Hr. Gustav Hautzenbichler bestimmt. Die russische Kommandantur lehnt jedoch Hr. Hautzenbichler als Geschäftsführer ab und bringt ihrerseits einen gewissen Karl Kohberger [!] in Vorschlag. Die öffentliche Verwaltung bemüht sich derzeit noch diesbezüglich mit der russischen Kommandantur zur einer Einigung zu gelangen.“ Alfred Migsch richtete daraufhin ein Schreiben an den Bürgermeister der Stadt Wien, Theodor Körner, und schilderte diesem die Sachlage: Er könne für seine Verwaltung nur dann Verantwortung übernehmen, wenn er den Geschäftsführer selbst bestellte, so Migsch, Karl Koberger sei demgegenüber ein Mitglied der „KP Sektion Kagran“ und wäre daher von der russischen Kommandantur vorgeschlagen worden. Der Wiener Maschinenbauer und Elektrotechniker Karl Koberger, Jahrgang 1903 und Mitglied der Sozialdemokratischen Partei ab 1930, blieb wohl dennoch weiterein Geschäftsführer. Schließlich wurde Alfred Migsch per 12. August 1948 als öffentlicher Verwalter abberufen. In der Begründung des Bescheids ist zu lesen, dass die Berufung erfolgt war, „weil ein Teil der Gesellschafter nach dem Verbotsgesetz 1945 politisch belastet war. Nunmehr wurde festgestellt, dass Johanna Zigmund, Antonie Planer [vorm. Olischar/auch: Olicher] und Marie Gröschl politisch unbelastet sind.“ Dem Bescheid nach, der sich auf das Nationalsozialistengesetz von 6. Februar 1947 berief, wurde das Kino schließlich an die Gesellschafter*innen Johanna Zigmund, Antonie Planer, Leopoldine Heinzl, Valerie Weber und Hans Apel der gemeinsamen Firma „Weber, Apel, Gröschl & Co, Lichtspiele Kagran“, sowie an Maria Gröschl rückerstattet. Fassungsraum alter Standort: 150 (1911) 157 (1928) 168 (1934) Fassungsraum neuer Standort: 471 (1935) 1993 befand sich an der Stelle des ehemaligen Eck- bzw. Flohkinos ein Notariat; an der Stelle des späteren Kinos, das 1971 geschlossen wurde, ist heute eine Filiale der Erste Bank. Quellen M.Abt. 104, A11: 21., Bioscoptheater M.Abt. 119, A27/3 – K34-K44: K44, Lichtspiele Kagran (2 Mappen) Franz Grafl: Praterbude und Filmpalast. Wiener Kino-Lesebuch. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1993, S. 66. Werner Michael Schwarz: Kino und Kinos in Wien: Eine Entwicklungsgeschichte bis 1934. Wien: Sonderzahl 2002, S. 293. < zurück |