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Gündung als Rodauner Schloss-Kino Das Rodauner Schloss-Kino wurde 1922 gegründet (andere Angaben nennen auch die Jahre 1921 sowie 1914 bzw. 1917). Das Kino befand sich auf einem Grundstück, der ehemaligen Wiesmühle (heute Ecke Willergasse/Ambrosweg/Fürst-Liechtenstein-Straße), das die Gemeinde Liesing (Rodaun) gepachtet hatte und hier ihrerseits Teile des Gebäudes an das Kino weitervermietete. Eigentümer des Grundstücks selbst waren Dr. Karl und Dr. Leo Holzmann, die es ihrerseits ab 1922 an die Gemeinde Liesing verpachteten. Als erster Leiter des laut Aktennotiz des Wiener Magistrats damals noch in Bau befindlichen Kinos wurde so auch Josef Schreiner genannt, der damalige Bürgermeister von Rodaun. Zum Zeitpunkt der Eröffnung hieß die erste Eigentümerin, Lizenzinhaberin und Geschäftsführerin in Personalunion Ilona Mary Sohr. Architektur Der Wiener Stadtbaumeister Ludwig Werther (Bachgasse 10, 1210 Wien) konzipierte das neue Kino in einem bereits bestehenden Gebäude. Wie aus dem Adaptionsplan des Architekten zur „Erstehung eines Kino für wohlgeboren Frau Ilona Mary Sohrs von Jänner 1922“ hervorgeht, waren die Kassa und eine Garderobe für den Eingangsbereich geplant. Die Toiletten befanden sich in einem der folgenden zwei Warteräume, die beide je einen Eingang zum Kinosaal hatten. Im hinteren Bereich des 25,5 m langen, 6,7 m breiten und 5 m hohen Kinosaales befand sich in der Mitte die Vorführkabine und seitlich davon ein erhöhter Logenbereich. Vor der Leinwand ließ Sohr einen kleinen Orchesterraum einbauen; eine Besonderheit des Kinos war schließlich auch dessen eigene Hauskapelle. Übernahme des Betriebs 1923 übernahm Franz Cernoch die Leitung des Betriebs. 1928 (and. Ang.: 1926) folgte ihm Alfred Hechtl, der zuvor von 1923 bis 1925 das Jubiläumskino bzw. die Wolfgang Lichtspiele (12., Wolfganggasse 30) geführt hatte. Hechtl gelang es nicht, das Kino in den kommenden Jahren mit Erfolg zu führen, sodass das Rodauner Kino 1930 kurz vor dem Konkurs stand. Umbenennung, Erhalt und letzte Neuübernahme vor dem NS-Regime Aufgrund der wenigen Freizeitangebote in der Gegend entschloss sich die Gemeindeverwaltung schließlich, das Kino selbst in die Hand zu nehmen, und ließ dort relativ spät für Wiener Verhältnisse 1931 eine Tonfilmanlage umbauen. Das Kino wurde in Urania Tonkino umbenannt und noch im selben Jahr mit der Suche nach einem neuen Pächter der Konzession begonnen. Vorerst fand man im Ehepaar Bergmann, das in der Tschechoslowakei gearbeitet hatte, nach längerer Suche ein Pächterpaar. Die schlechte wirtschaftliche Lage führte jedoch schon nach wenigen Wochen zur Rückgabe des Pachtvertrags, sodass die Gemeinde selbst erneut zur Betreiberin des Tagesgeschäfts wurde. Herbert Albrecht wurde von der Gemeinde Rodaun per 1. Jänner 1932 zum Geschäftsführer des Kinos bestellt. Und noch im selben Jahr wurde der Betrieb schließlich von der Firma Norbert & Co gepachtet, die es bis 1938 führte. NS-Zeit Nach dem „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland am 12. März 1938 wurden als damalige Eigentümer:innen der Liegenschaft, auf der sich das Kino befand, die „Juden Leo und Karl Holzmann“ genannt, als Konzessionärin und damit Betreiberin die „Gemeinde Rodaun“ und als Pächter bzw. Geschäftsführer des Kinos „bis 28.3.1938 der Jude Herbert Albrecht“. Wenige Monate nach dem „Anschluss“ ging, so die neue Kinoleiterin Betty Bangert in einem Schreiben vom 15. Oktober 1938, die Gemeinde Wien in den Reichsgau Wien über. Zudem lief der Pachtvertrag zwischen Albrecht und der Gemeinde Wien laut einer Aufstellung der NS-Vermögensstelle am 31. Dezember 1938 aus, was zu einer Reihe von Komplikationen in Hinblick auf den Vertrag führte, sodass spätestens ab diesem Zeitpunkt eine neue „rechtliche“ Situation im Sinne des NS-Regimes angestrebt wurde: Bereits am 26. März 1938 hatte die damals 40-jährige Barbara „Betty“ Bangert eigenverantwortlich die kommissarische Leitung des nunmehrigen „Lichtspieltheaters Rodaun“ sowie von 1. August an bis 31. März 1939 dessen Geschäftsführung übernommen, während Dr. Peter Zimmer als Vertreter der Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, die kommissarische Verwaltung übernahm. Für den Ankauf des Kinos von der Gemeinde Wien/Reichsgau Wien zahlte Bangert schließlich im April 1939 1. 500 Reichsmark, „beschwerte sich aber bitterlich über den baulichen und technischen Zustand, in dem der Jude Albrecht ihr das Kino hinterlassen habe“ (Roland Fitz). Die neue Kino-Betreiberin Barbara Bangert wurde am 12. Oktober 1897 in Perchtoldsdorf geboren. Nach dem Besuch der Volks- und Bürgerschule sowie einer „zweiklassigen“ Handelsakademie arbeitete sie zuerst in der Notariatskanzlei Dr. Karl Krünes (1010 Wien) und danach bis 1927 bei ihrer Mutter, ehe sie ab 1927 als Sekretärin beim Schriftsteller Dr. Karl Hans Strobl tätig war, der bereits seit 1933 NSDAP-Mitglied war. Ob über Strobls Einfluss oder andere Verbindung wurde auch Bangert bald schon eine glühende Anhängerin Hitlers. Ab Februar 1935 war sie „Parteigenossin“ der NSDAP und arbeitete „seit dieser Zeit als Blockwart in Perchtoldsdorf in der dortigen Ortsgruppe der NSDAP“. 1936 wurde Bangert Ortsgruppenleiterin von Rodaun, da der bisherige „OGL von Rodaun eingesperrt“ worden war und Bangert so „mangels eines Nachfolgers die OG Rodaun [übernahm]. Nach einigen Monaten fand sich ein neuer OGL, der aber mit Arbeit so überbürdet war, dass ich ihn die ganze Zeit über bis jetzt zur Machtübernahme vertrat“, hielt Betty Bangert in einem Schreiben von 13. April 1938 an den „Beauftragten für das Filmwesen, z. H. Herrn Pg. W. L. aus r [!]“ fest und berichtete weiter: „Ich war auch Mitarbeiterin von einigen Bezirksleitern, und als sie nach und nach eingesperrt wurden, konnte ich den Bezirk immer dem Nachfolger übergeben. Weiters arbeitete ich in den letzten drei Jahren auch sehr viel für den derzeitigen Kreisleiter von Hietzing Land. Erwähnen möchte ich noch, dass ich bei Dr. Karl Hans Strobl nur halbtätig beschäftigt bin, sodass mir für die kommissarische Leitung des Tonkinos in Rodaun noch genügend Zeit bleibt.“ Mit der „Beendigung der Arisierung des genannten Filmtheaters“ schied Bangert als Geschäftsführerin des bis dahin von Zimmer verwalteten Betriebs aus und führte diesen von nun an erneut eigenverantwortlich weiter. Im März 1939 kaufte Bangert das zum Kino gehörende Inventar, konnte jedoch vorerst den Betrieb selbst nicht pachten oder mieten, da dieser noch von der Gemeinde Wien gepachtet wurde. Am 27. März 1939 legte Bangert den Antrag um Eingliederung in die Reichsfilmkammer vor, in der kurz darauffolgenden Sitzung des Bezirksausschusses von 5. April 1939 wurde die Eingliederung bereits befürwortet. Doch da die Mietverhältnisse nicht geklärt waren, musste der Eintritt offiziell auf das Vorlegen eines aktuellen Miet-/Pachtvertrages warten. Am 28. April 1939 erhielt Bangert zumindest die vorläufige Spielbewilligung, die per Bescheid von 25. April 1940 verlängert wurde. Mit Vertrag von 3. August 1939 verkauften Dr. Karl und Dr. Leo Holzmann zwangsweise die Liegenschaft samt Gebäude um RM 34.000 an Luise Zernegg. Teil des Kaufvertrags war zudem der Pachtvertrag für das Kino mit der Gemeinde Rodaun, sodass Zernegg zugleich mit dem Ankauf auch das Pachtverhältnis mit der Gemeinde Liesung (Rodaun) einging. Die Verhandlungen über eine Rückgabe der Pacht, die Bangert ermöglicht hätte, ihrerseits das Kino von der nunmehrigen Eigentümerin der Liegenschaft, Luise Zernegg, zu pachten bzw. zu mieten, zogen sich insgesamt über fast zwei Jahre. Im Februar 1941 legte Bangert einen neuen Mietvertrag vor und bat die Reichsfilmkammer die Verzögerung „entschuldigen zu wollen, ich hatte einen hartnäckigen Partner, viele zeitraubende Besprechungen und schließlich die entscheidenden und erfolgreichen Endverhandlungen vor dem Gaugericht“. Dem vorausgegangen waren Verhandlungen mit der Besitzerin der Liegenschaft, Luise Zernegg. Zernegg war wohl bemüht gewesen, ihren Sohn entweder in den Vertrag oder in den Kinobetrieb einzusetzen – da dessen (unehelicher) Vater jedoch nach mehrmonatiger Prüfung als „Volljude“ deklariert wurde, musste Zernegg ihre Hoffnung fallen lassen und das Kino Bangert übergeben. In einem Schreiben der Reichsfilmkammer an die Kreisleitung des Kreises V. der NSDAP hieß es dazu am 6. Dezember 1940 im Bemühen, der „Parteigenossin“ in ihrem Anliegen weiterzuhelfen: „Die Ihnen ebenfalls bekannte Pg. Betty Bangert hat nach dem Umbruch im Einvernehmen mit der Außenstelle die Fortführung des verjudeten [!] und gänzlich verwahrlosten [!] Rodauner Lichtspielhauses übernommen. Die Außenstelle hat auch auf Grund der bisherigen Erhebungen und Erfahrungen, die mit Frl. Betty Bangert gemacht wurden, die Absicht, ihr die Spielerlaubnis bzw. die Mitgliedschaft zur Reichsfilmkammer, die zur Fortführung des Betriebs notwendig ist, zu vermitteln. Die Erteilung der Mitgliedschaft zur Reichsfilmkammer scheitert jedoch daran, dass es Frl. Betty B. bis heute noch nicht gelungen ist, ihre Verfügungsbefugnis über das Filmtheatergrundstück in Form eines Miet- oder Pachtvertrags nachzuweisen. Die Außenstelle hat den Eindruck, dass die Eigentümerin das Grundstücks, Frau Luise Zernegg, mit dieser Hinausschiebung des Pachtvertrags eigennützige Zwecke verfolgt, und bitter Sie, sich mit Ihrer Autorität einzusetzen, dass Frl. Bangert endlich die Gewähr hat, diesen Betrieb in Sicherheit und Ruhe fortführen zu können.“ Ein weiterer Antrag um Eingliederung in die Reichsfilmkammer von Bangert – und mit ihr nun auch von Hans Aichinger – datiert auf 5. März 1941 – und damit auf die Zeit, in der sich die Besitz- respektive Pachtverhältnisse im Sinne Bangerts zu klären schienen. Ihrem Antrag von 1941 legte Bangert einen Bestandsvertrag von 6. Februar 1941, der nun ein Mietverhältnis zwischen der Eigentümerin der Immobilie, Luise Zernegg und „Fräulein Barbara Bangert“ auswies. Zernegg hatte die Liegenschaft ihrerseits wiederum der Gemeinde Rodaun „beziehungsweise als Rechtsnachfolgerin“ dem Reichsgau Wien verpachtet – und dieser das darauf befindliche Kino an Bangert „in Bestand“ gegeben. Die Situation war nun im Sinne der neuen NS-Leitung geklärt, und Bangert konnte den Betrieb weiterführen. Am 22. Juli 1941 heiratete Banger in Standesamt Liesing den am 23. Mai 1887 geborenen Hans Aichinger, der seinen Antrag um Aufnahme in die Reichsfilmkammer bereits am 5. März 1941 gemeinsam mit seiner nunmehrigen Verlobten eingebracht hatte. Doch auch die weiteren Monate brachten keine finale Klärung der Situation: Am 18. August 1942 wurde Betty Aichinger von der Reichsfilmkammer aufgefordert, die immer noch nicht vorliegenden Dokumente für die Eingliederung in die Reichsfilmkammer vorzulegen. Unter anderem war sie dazu verpflichtet worden, den „verkürzten Ausbildungslehrgang für Filmtheaterbesitzer in Wien“ zu besuchen. Spätestens in diesem Sommer war der Beitritt jedoch abgeschlossen. Das Kino wurde wie schon 1941 auch in diesem Sommer für Sanierungsarbeiten geschlossen und konnte sich bis Kriegsende als beliebtes Bezirkskino halten. Überleben der jüdischen Eigentümer und Mieter Nur wenige Tage nach dem „Anschluss“ wurde dem Kino-Pächter Herbert Albrecht aus rassischen Gründen die Konzession, die technischen Apparaturen und die Einrichtung entschädigungslos „entzogen“. Herbert Albrecht gelang die Flucht in die USA. Er wurde niemals entschädigt. Auch Dr. Leo Holzmann gelang die Emigration in die USA. Nachkriegszeit Wenige Wochen nach Kriegsende galt Betty Bangert im Juni 1945 als „unbekannten Aufenthaltes“. In einem Überblick der Gemeinde Rodaun selbst, der an die Österreichische Filmkammer, „zu Handen des Herrn Direktors Perlmann“ ging, hieß es zu den Ereignissen der Vorjahre am 11. Juni 1945: „Die Gemeinde Rodaun hat ungefähr im Jahre 1930 [hs. korrigiert auf: 1935] von Herrn Alfred Hechtl das seinerzeitige Kino erworben und bei der Umstellung desselben vom stummen Film auf den Tonfilm neu ausgestattet, den nötigen Umbau, die Ausstattung der Räume, die Anschaffung der Apparaturen etc. durchgeführt." 1938 sei nach dem „Anschluss an das Reich und Einverleibung des Gemeindegebietes Rodaun an die Gemeinde Wien“ das Kino „ins Eigentum“ der Gemeinde übergegangen, die den Betrieb ihrerseits „dann der Frau Eichinger um den Betrag von RM 1.500,- käuflich überlassen“ habe. Nun, im Juni 1945, strebe die Gemeinde Rodaun, die „zumindest vorläufig ihre Selbstständigkeit wiedererlangt“ habe, eine Wiederübernahme des Betriebs an. Da jedoch in diesem Fall auch der Bund der Lichtspieltheater seinerseits Interessen an der Übernahme des Kinos deutlich machte, kam es, ähnlich wie im Theaterkino Liesing, zu mehrmonatigen Streitigkeiten, zumal trotz dieses Schreibens der Gemeinde Rodaun – und mit Genehmigung durch den damaligen Kulturstadtrat Viktor Matejka – zwei neue öffentliche Leiter eingesetzt wurden: Peter Jeitler und Johann Vog(e)l. In einem weiteren Schreiben des Bundes der österreichischen Lichtspieltheater, vertreten von. Ing. Hans Nord, an das Gemeindeamt Rodaun-Kalksburg von 21. Juli 1945 hieß es dazu, dass für den Betrieb eine öffentliche Verwaltung zu bestellen sei, da er gem. § 15 des Verbotsgesetzes von 8. Mai 1945 von einer „Illegalen“ geführt worden war. „Bei dieser Rechtslage werden Sie einsehen, dass die Übertagung eines solchen Vermögens, wie Sie es begehren, derzeit nicht möglich ist“, hielt Nord fest. Und auch, dass „Rodaun Kalksburg [...] ein Bestandteil der Gemeinde Wien“, der Träger des Vermögens also die Stadtverwaltung sei. Im Herbst übernahm Dr. Alfred Migsch die öffentliche Verwaltung. Am 18. August 1945 wurde das Kino wiedereröffnet. Für die Gemeinde Wien, als Rechtsnachfolgerin der Marktgemeinde Rodaun, betrieb Dr. Alfred Migsch, der öffentliche Verwalter für Wiener Lichtspieltheater, das Kino. In einem Schreiben von 17. Jänner 1946 forderte der damalige Stadtrat für Allgemeinde Verwaltung, Josef Afritsch, Dr. Migsch zur Beendigung der öffentlichen Verwaltung einer Reihe von Wiener Kinos auf – darunter auch das Rodaun Kino. Das Kino sollte zu diesem Zeitpunkt mit Inventar an die Mag. Abt. I/I übergeben werden, die den Betrieb für die Stadt Wien erwerben sollte. Der geschätzte Kaufpreis sowie eine Dokumentation seiner Tätigkeit als öffentlicher Verwalter, Inventaraufstellung und Anfangs-Schlussbilanz sollten von Migsch an die MA 7 übermittelt werden. Doch die Verhandlungen zogen sich um mehrere Monate weiter. Am 15. März 1948 hielt die Fachgruppe Lichtspieltheater ihrerseits auf Anfrage des Landesgerichts für Strafsachen in einem Bericht über die Situation des Kinos ab 1938 Folgendes fest: „Dieses Kino war bis Ende 1938 im Besitz der Gemeinde Rodaun, welche mit der Grund- und Hausbesitzerin, Frau Luise Zernegg, Wien I., Burgring 1, einen Pachtvertrag inklusive 1941 abgeschlossen hatte. Die Gemeinde hatte in dem gepachteten Gebäude das Lichtspieltheater betrieben, wobei sämtliche Einrichtungsgegenstände Eigentum der Gemeinde Rodaun waren. Die Gemeinde Rodaun hat nun ihrerseits wiederum den Kinobetrieb an Herrn Herbert Albrecht verpachtet, welcher jüdischer Abstammung war und dessen Pachtvertrag im Jahr 1938 zu Ende ging. Am 24. März 1938 wurde Frau Betty Bangert-Aichinger, die nachherige Besitzerin, über Vorschlag der NSDAP, Ortsgruppe Rodaun, zur kommissarischen Leiterin des Kinos bestellt. Aus den hier befindlichen Akten ist ersichtlich, dass sich Frau Bangert-Aichinger um die käufliche Überlassung des Kinos sehr bemühte und dieselbe auch von verschiedenen Parteistellen und anderen Personen in ihren Bestrebungen zum Erwerb des Kinos unterstützt wurde. Die Gemeinde Rodaun wurde im Jahr 1939 zu Wien eingemeindet. Es geht aus den Akten nicht klar hervor, ob Frau Bangert-Aichinger das Kino von der Gemeinde Rodaun gekauft hat oder von der Gemeinde Wien. Jedenfalls ist aus einem Schreiben von 11. Juni 1945, versehen mit der Stampiglie der Gemeinde Rodaun-Kalksburg, zu entnehmen, dass das Kino von Frau Bangert-Aichinger um den Betrag von RM 1.500,- gekauft wurde, während die Kosten ´des Gesamtaufwands der Gemeinde Rodaun ca. S. 26.000,- betrugen. […]“ Betty Aichinger legte ihrerseits noch 1945 einen Antrag um Verleihung der Konzession für den Betrieb vor, der jedoch abschlägig beantwortet wurde, da Aichinger weiterhin aufgrund des damaligen Verbotsgesetzes von einer Führung eines Veranstaltungsbetriebes ausgeschlossen war. Der Strafprozess gegen ihren Mann Hans Aichinger zog sich weit in das Jahr 1948 hinein, und auch ein weiterer Antrag um Verleihung der Konzession von Aichinger aus diesem Jahr wurde abgewiesen. Als Begründung wurde im Schreiben von 23. Dezember 1948 festgehalten, dass diese den Betrieb zwar ab 13. März 1938 von der Gemeinde Rodaun gepachtet und die NS-Spielerlaubnis gehabt habe, jedoch nach den neuen Bestimmungen nicht als „frühere Berechtigte“ gelte. „Die Konzessionsverleihung lag somit im uneingeschränkten freien Ermessen des Wiener Magistrats, welcher sich nicht bestimmt fand, dem Ansuchen der Frau Barbara Aichinger Folge zu geben.“ Bereits am 5. Dezember 1945 (and. Ang.: 26.10.1945) war vom Magistrat der Stadt Hermine Kaiser (* 22.12.1913, Wienergasse 45, Perchtoldsdorf) als neue Geschäftsführerin vorgeschlagen und um die Verleihung der Konzession an die Stadt Wien angesucht worden. Übernahme des Kinos durch die KIBA Wie in den meisten Fällen der Wiener Kinos wurden vonseiten der nunmehrigen provisorischen Verwaltung nur wenig unternommen, um die ehemaligen jüdischen Eigentümer des Grundstücks bzw. des Kinos ausfindig zu machen. Da so niemand gefunden wurde, ging das Kino letztlich, wie in vielen anderen Fällen aus, an die KIBA als Stadt-Wien-eigenenes Unternehmen über, "die damit die nachhaltigste Profitörin der Arisierung des Rodauner Kinos war" (Roland Fitz). Am 1. März 1947 suchte die KIBA um Verleihung der Konzession an, was mit Schreiben von 20. März vom Gremium der Lichtspielunternehmer genehmigt wurde. Im Oktober 1948 wurde klar, dass das Kino infolge der „Ausgemeindung an die Gemeinde Rodaun zurückfällt“, was zu einer weiteren Diskussion um die kommende Kinoleitung führte. Schließlich erhielt auch in diesem Falle die KIBA die Konzession zum Betrieb des Kinos. 1950 hatte sich die Gesetzeslage in Österreich dahingehend verändert, dass Aichinger, obwohl sie bereits illegales NSDAP-Mitglied gewesen war und das Kino nachweislich „arisiert“ hatte, von nun an sehr wohl Anspruch auf die Rückstellung ihres damit während der NS-Jahre erlangten Vermögens hatte. Mit Bescheid von 29. September 1950 wurde nun sowohl die nunmehrige öffentliche Verwaltung – die Österreichische Gesellschaft für treuhändige Vermögensverwaltung Ges.m.b.H. – abberufen wie auch der nunmehrige Nat. Rat. Dr. Alfred Migsch als bereits per 29. Oktober 1948 abberufender öffentlicher Verwalter angewiesen, Barbara Aichinger deren gesamtes, das Kino betreffendes Vermögen ausfolgern. Das neuerliche Konzessionsansuchen der ehemaligen NS-Kinobetreiberin wurde jedoch weiterhin von der Gemeinde Wien abgewiesen, wobei nun, am 10. Juli 1950, nicht mehr auf deren NS-Vergangenheit Bezug genommen wurde, sondern auf die Tatsache, dass seit 30. März 1949 (und mit Laufzeit bis 31. März 1951) die KIBA die rechtskräftige Konzessionsinhaberin wäre. 1951 wurde die Konzession der KIBA bis 1953 verlängert und die seit dem Winter 1945 hier tätige Hermine Jordan (vormals Hermine Kaiser) als Geschäftsführerin bestätigt. 1953, 1956 und 1959 folgten weitere Konzessionsverlängerungen zugunsten der KIBA. Herbert Albrechts späte Bemühungen um eine Rückstellung des Betriebs Erst im Jahr 1954 suchte Herbert Albrecht, der die NS-Verfolgung überlebt hatte und nun im amerikanischen Exil lebte, durch seinen Anwalt Dr. Paul Georg Glass um die Rückstellung seines ehemaligen Betriebs an. Schließlich hieß es in einem Schreiben von Vizepräsident Dir. Gustav Scheibenpflug und Sekretär Dr. Geischläger an die Rückstellungskommission zu diesem Antrag am 31. Mai 1954: „Die Filmtreuhandgesellschaft besteht nicht mehr. Sie wurde im Jahr 1945 liquidiert. Ihre Akten und Gelder wurden von der Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, nach Altaussee mitgenommen. Von dort konnten sie trotz wiederholter Bemühungen nicht mehr zustande gebracht werden. Zeugen über die besagten Vorgänge können leider keine mehr namhaft gemacht werden.“ KIBA-Betrieb. Abriss und Neubau durch Robert Kotas Zu diesem Zeitpunkt war die KIBA bereits einige Jahre Konzessionärin des Betriebs. Doch während Bangert ihr NS-Einkommen „rückgestellt“ bekam, erhielt der jüdische ehemalige Kinobetreiber keinerlei Ersatz seines enteigneten Vermögens. Am 17. Juni 1961 wurde das Kino – zeitgleich mit dem Capitol Kino – nach eine letzten Vorstellung, bei der man Hans Albins Schön ist die Liebe am Königsee (BRD 1960) zeigte, geschlossen – beide Kinos wurden in den folgenden Monaten nach Plänen des Wiener „KIBA-Architekten“ Robert Kotas neu adaptiert, das Rodauner Kino dabei gänzlich abgerissen und neu errichtet. Am 19. Jänner 1962 hieß es in einem Schreiben des Magistrats der Stadt Wien, MA 7, dass das Kino „zwecks Neubau derzeit gesperrt ist“ und Hermine Jordan, geborene Kaiser, als Geschäftsführerin abberufen worden sei. 1963 wurde die Konzession bis 1969 verlängert. Am 2. September dieses Jahres erfolgte ein weitere Konzessionsverlängerung an die KIBA sowie eine Verlängerung der langjährigen Geschäftsführung von Hermine Jordan, wobei die Konzession ab diesem Zeitpunkt „unbefristet verliehen“ wurde. Die Wiedereröffnung fand schließlich nach über einem Jahr Schließzeit am 20. Dezember 1962 im Rahmen einer geschlossenen Vorstellung vor geladenen Gästen im von Kotas repräsentativ gestalteten wesentlich größeren Kinofunktionsbaus statt, der nun statt um die 300 über 400 Plätze aufwies. Gezeigt wurde die Opernverfilmung von Der Rosenkavalier in der Regie von Paul Czinner und mit Elisabeth Schwarzkopf sowie Herbert von Karajan als Dirigenten (BRD 1962). Ab 21. Dezember fanden erneut tägliche Kinovorstellungen statt. Das Kino wurde von nun an von der Wiener Stadthalle-KIBA doch noch weitere zehn Jahre geführt; zuletzt bemühte man sich, den anhaltenden Besucher:innen-Schwund im Zuge des Wiener „Kinosterbens“ durch eine Reduktion der Plätze und eine bessere Bestuhlung aufzuhalten: Noch 1970 reduzierte man um fast 50 Plätze von 462 auf 418 Plätze, wobei die bereits abgesessenen Stühle durch 212 Klappstühle aus dem Gudrun Kino (10., Gudrunstraße 151) ausgetauscht wurden, die in breiteren Abständen zueinander montiert wurden. Doch auch dieses einst beliebte Vorstadtkino konnte sich letztlich nicht mehr halten: Am 19. April 1972 schrieb die Stadthalle Wien-KIBA an die Fachgruppe der Lichtspieltheater: „Wir erlauben uns, Ihnen mitzuteilen, dass wir unser Kino-Rodaun, Willerstraße 23, 1230 Wien, mangels Rentabilität ab 25.4.1972 sperren und den Betrieb einstellen.“ Schließung In einer abschließenden Mitteilung des Wiener Magistrats von 24. April 1972 hieß es: „Die Wiener Stadthalle-Kiba, Betriebs- und Veranstaltungs Ges.m.b.H. mit dem Sitz in Wien 15, Vogelweidplatz 14, hat mit Schreiben vom 19. d. M. anher mitgeteilt, dass der Betrieb Kino Rodaun im Standorte 23, Willergasse 30, ab 25. April 1972 gesperrt wird. Gleichzeitig wird die mit Bescheid von 30. September 1968, Zl. MA 7-3188/68, erteilte unbefristete Konzession zurückgelegt. Ferner verliert die im gleichen Bescheid erteilte Geschäftsführergenehmigung mit der Gültigkeit bis 30. Juni 1974 an Frau Hermine Jordan, geb. am 22. Dezember 1913, wohnhaft in Perchtoldsdorf, Wienergasse 45, ihre Wirksamkeit.“ Der letzte Film, der hier gezeigt wurde, war Terence Youngs Actionthriller Kalter Schweiß mit Charles Bronson und Liv Ullmann (I/F 1970). Das Rodauner Kino schloss am 25. April 1972 für immer seine Türen. Es folgten Vermietungen/Verkäufe (?) an Konzerne mit Filialen von Billa und zuletzt Lidl sowie der Verkauf an den Biokonditor Hanauer, der dort eine Produktionsstätte für Torten sowie eine Konditorei eröffnete, ehe er den Standort wieder verließ. Heute steht das einstige Kino an der nunmehrigen Adresse Willergasse 4–30 gänzlich leer. Es ist, neben dem Gartenbau Kino, der letzte erhaltene Kino-Bau von Robert Kotas und der letzte freistehende Nachkriegsbau des großen Kino-Architekten der Stadt Wien. Architekten 1922 Stadtbaumeister Ludwig Werther 1962 Architekt Robert Kotas Eigentümer:innen des Grundstücks Leo und Karl Holzmann (bis 1938) Luise Zernegg (1938-1939/40 - Ehefrau des Leiters der Wehrbuchhandlung auf dem Burgring 1, Ludwig Zernegg) Gemeinde Wien (?) Inhaber:innen = Pächter:innen der Anlage Gemeinde Rodaun (1922-1938) Barbara "Betty" Banger (ab 1939) Gemeinde Wien – Gemeinde Rodaun (ab 1945) Lizenz/Konzession Gemeinde Rodaun (1922-1931) Herbert Albrecht (1932-1938) kommissarischer Leiter/RFK: Dr. Peter Zimmer (1938–1939) Betty Bangert, spätere Aichinger (1939-1945) öffentliche Verwaltung: Dr. Alfred Migsch (1945-1946) KIBA (1946-1961/1962-1969) Wiener Stadthalle-Kiba (1969-1972) Pächter:innen Ilona Mary Sohr (1922) Franz Cernoch (1925) Alfred Hechtl (1926) Ehepaar Bergmann (16.-30.9.1931) Firma Norbert & Co (1932-1938) Geschäftsführer:innen Franz Cernoch (1925) Alfred Hechtl (1926) Hans Martin (1931) Herbert Albrecht (1.1.1932-1938) Betty Bangert (1939-1945) Hermine Kaiser als öffentliche Verwalterin (26.10.1945-17.1.1946) Hermine Kaiser (späterer verh. Hermine Jordan, 1946-1961/1962-1972) Quellen Wiener Stadt- und Landesarchiv, Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, A1 – Kinoakten, 97 – Tonkino-Rodaun Wiener Stadt- und Landesarchiv, Fachverband der Lichtspieltheater, A1 – Kinoakten: 180 – Rodauner-Kino Wiener Stadt- und Landesarchiv: A27-ÖV Kino: K124a – Rodaun – Lichtspiele Schriftliche und mündliche Mitteilungen von Roland Fitz, 2024 © KinTheTop/Angela Heide zuletzt aktualisiert: 26.11.2024 Zitierweise: http://www.kinthetop.at/forschung/kinthetop_23_LiesingerKino01.html, zuletzt eingesehen [Tag.Monat.Jahr] |