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"Zuschauen hat mich immer gelangweilt"

Ein Gespräch mit dem Regisseur und Theaterleiter Gerhard Werdeker über 50 Jahre Leben, 40 Jahre Theaterarbeit und 25 Jahre Theater SPIELRAUM

"Bauklötze und Autos haben mich nie interessiert"


Nein, Gerhard Werdeker ist kein "lauter" Theaterleiter. Er poltert nicht durch die gelb gestrichenen Gänge seines Theaters - des dritten Theaters seines Lebens, das er - unter gleichem Namen - "mit eigenen Händen" aufgebaut hat. Ruhig wandert er, niemals gemächlich, in der für ihn charakteristischen braun-grünen Tarnbekleidung, fast immer den Hund an seiner Seite, durch die Räume des Theaters, aufmerksam begrüßt er Publikum und Freunde. Erst wenn er zu sprechen beginnt, erkennt man das Feuer, dass in dem zarten, bärtigen Mann streckt und das ihn, auch nach Jahrzehnten Theaterarbeit in einer Stadt, die "den Stillen" noch nie nahe gestanden hat, noch nicht verlassen hat.

Dabei ist Gerhard Werdeker, der so untypische "Freigeist", "eine echter Wiener", "geboren in Wien mit Wurzeln in der österreichischen Donaumonarchie, aus mehreren Teilen davon, also eine 'schönes' Mischung", wie er sich selbst bezeichnet. Hineingeboren in eine Zeit, in der der Krieg noch nicht vergessen und noch lange nicht aufgearbeitet ist, hineingeboren auch in eine Zeit, in der die "Revolten" noch nicht begonnen haben und das "Alte" dennoch nicht mehr lebbar ist. "Freies Theater" ist noch kein Begriff, "Max Reinhardt" dafür schon ein Synonym für "Bürgerlichkeit" und "überkommene Theatertraditionen".

Die Eltern - der Vater ist Arbeiter, die Mutter "einfache Gerichtsbeamtin" - "man würde es heute als 'kleinbürgerliche Verhältnisse' bezeichnen" - entsprechen so gar nicht dem Klischee von Strenge und Konservativismus. Natürlich hätte man "gerne gehabt", wenn der Sohn "Jus studiert", aber man gibt ihm schon von klein auf zu lesen, schenkt ihm ein Theater-der-Jugend-Abonnement und fördert die Interessen des Sohnes so gut es eben geht. "Sie wollten immer, dass es der Bub einmal 'besser' hat", erinnert sich Gerhard Werdeker und verweist auf Kindermädchen statt Kindergarten und auf die "sehr gute, sehr katholische" Privatschule, auf die er geht. "Erst im Nachhinein erkennt man, wie sehr einen diese Dinge prägen."

Nur das Klavierspielen erlaubt man dem "Buben" nicht, mit der Begründung, er habe zu kleine Hände, um die Tasten richtig greifen zu können, wofür Gerhard Werdeker seinen Eltern "bis heute ein bisschen böse" ist. Dafür bekommt er bereits mit einem Jahr eine Eisenbahnanlage - die müssen freilich Vater und Großvater aufbauen, der Sohn führt dann auf den Gleisen "Regie" und "lenkt" den verzweigten Schienenverkehr durch das elterliche Wohnzimmer. Am liebsten natürlich vor dem familiären Publikum.

Ja, das Theater hat ihn immer schon interessiert. Und der "Bub Gerhard" weiß, dass er nie ein Mensch sein wird, der "nur" zusieht. Bald schon folgt ein Puppentheater. Und auch hier ist von Anfang an klar, dass nicht er, sondern die anderen vor der Bühne zu sitzen und den "Launen meiner Figurenführung" zuzusehen haben. Er liebt es, in Gedanken in andere Rollen hineinzuschlüpfen und vor allem, die anderen in ihren Rollen "herumzudirigieren". Dennoch beginnt seine "Theaterkarriere" vorerst als Schauspieler. Gerhard Werdeker ist kaum 8 Jahre alt, als er Mitglied seiner Schultheatertruppe wird. "Wenn es eine schwere Rolle gab, dann hieß es immer: 'Wer spielt das? Na, der 'Wederker'!" Doch das "das Nervenkleid" ist einfach zu dünn, um jeden Tag in eine andere Rolle zu schlüpfen und sich "vor dem Publikum zum Kasperl zu machen". Die "Schauspielkarriere" beendet Werdeker im Alter von 10 Jahren. Von nun an weiß er: Er wird entweder Dirigent oder Regisseur.

Aus dem von den Eltern erhofften "bürgerlichen Beruf" wird schließlich ein Studium der Opernregie an der Musikabteilung der Hochschule für Musik und darstellende Kunst. Werdeker ist der jüngste Student - und er ist kein einfacher. Das führt in den ersten Jahren zu einigen "Autoritätsproblemen", doch das Talent des Studenten wird erkannt, nicht zuletzt von seinen beiden Professoren Hans Zimmerl und Walter von Hoesslin (1910-1996), die Werdeker in den kommenden Jahren unterstützen und fördern. "Hoesslin vertrat die Meinung, die auch ich bis heute vertrete, dass einem nicht alles gefallen muss, aber es muss alles gut gemacht und gut durchdacht sein." Der ehemalige Assistent bei Max Reinhardt versucht, "diesen Geist des Reinhardt'schen Theaters weiterzugeben", jedoch nicht im Sinne einer "sentimentalen Erinnerung an eine Vorkriegszeit oder eines 'Stehenbleibens' als durchaus auch in Verbindung mit aktuellen Theatertendenzen". Allerdings wurde das, knapp 10 Jahre nach "'68", "von den meisten Studenten belächelt". Es sind Jahre der Umbruchzeit, ohne zu wissen, wohin man aufbricht: Das "alte Theater" funktioniert schon lange nicht mehr, die "freie Szene" ist noch nicht (oder gerade erst) im Entstehen. Vorlesungen über Cocteau werden ebenso angeboten wie ein Seminar zum Thema "Brecht-Barock", bei dem alte Dogmen aufgebrochen werden sollen. Daneben besucht Werdeker zahlreiche Seminare, "die ich gar nicht gebraucht hätte". Ohne je ein Instrument erlernt zu haben, studiert er Partituren und Komposition, sitzt mit den Sängern in der Korepetitionsstunde und im Anschluss in Bühnenbild- und Kostümvorlesungen und nimmt - "gefürchtet als Linkshänder" - mehrmals in der Woche Fechtstunden.

Für seine Diplomprüfung wählt Werdeker die Oper Das Medium von Gian Carlo Menotti. Die Inszenierung wird ein derart großer Erfolg, dass man den frisch gebackenen Regisseur ein Jahr später anlässlich der Neueröffnung des neu renovierten Schönbrunner Schlosstheaters zu einer Wiederaufnahme einlädt. "'Mein' Medium war sowohl die letzte Inszenierung im alten wie auch die erste Inszenierung im neuen Schlosstheater nach dem Eröffnungsakt." Dabei kann Werdeker noch einmal seine ehemaligen "Schauspielerambitionen" ausleben - in der Rolle des Zigeunerknaben "Toby", "die eine stumme ist und ich daher weder singen noch sprechen musste".

Der Loslösungsprozess von der Schule ist ein dementsprechend schwerer. "Ich wusste nicht so recht, was ich nach dem Studium machen sollte." Die "Stadttheater-Regieassistenzen", das weiß der junge Absolvent, "funktionieren nicht. Wenn ich ein Kaffeehäferl tragen muss, schütte ich die Hälfte daneben, und das mit den Würsteln ist auch nicht so meine Sache ...". Werdeker will - wenige Jahre zuvor hat das mit dem Schauspielhaus der um über 15 Jahre ältere Kollege Hans Gratzer getan, die 1980 von Helmut Wiesner und Helga Illich gegründete Gruppe 80 zieht gerade in ein festes eigenes Haus - sein eigenes Ensemble gründen. An der Künstlerischen Volkshochschule gibt Werdeker Theaterkurse und versammelt eine Reihe von jungen Schauspielern um sich, mit denen er in den kommenden Jahren kontinuierlich arbeitet, darunter Alois Frank, Rainer Doppler, Dietmar Nigsch, Daniel Doujenis und "den viel zu früh verstorbenen" Erich Eberl. In der Palmgasse 8 im 15. Bezirk geht der Traum vom eigenen Theater schließlich in Erfüllung. Gerhard Werdeker ist kaum 25 Jahre alt.

Das neue Wiener Kellertheater befindet sich in einem Haus, das nach "dem Wunsch der Besitzerin 'mit Kunst gefüllt'" werden sollte. Im ersten Stock gibt es eine Galerie, im Keller eröffnet das junge Theaterensemble 1983 das erste Theater SPIELRAUM. Man beginnt mit Peter Turrinis Die Wirtin, "was damals einer kleinen Sensation gleichkam, war das Stück bis dahin nur wenige Male aufgeführt worden". Die Eröffnungspremiere ist zwar "fulminant" und auch die Medien nehmen das neue Theater in Wien mit großem Interesse und Wohlwollen auf - doch nach nur einer Woche schließt die Polizei die Räume, sind diese doch entgegen den Versprechungen der "kunstsinnigen Besitzerin" alles andere als angemeldet, feuertechnisch geschützt oder sanitär den baupolizeilichen Richtlinien entsprechend. "Damals dachten wir uns, 'das war's dann mit unserem kleinen Theaterchen'" - doch die Gruppe hat nicht mit der energischen Hausbesitzerin gerechnet, die nun "erst recht" ihr privates Souterraintheater haben will. Man beginnt also - es wird der erste von bis heute drei Theaterumbauten - mit der Adaption des Kellers, verwandelt das alte Kohlenlager in Garderoben und WC-Anlagen, baut das "Foyer" aus und eröffnet 1984 "noch einmal mit der Wirtin - na klar, wir hatten es ja nicht ausgenutzt".

Die Gruppe bleibt fünf Jahre lang am ersten Standort. Es wird das erste und letzte "Ensemble" sein, das Gerhard Werdeker für längere Zeit um sich versammelt. Nach zwei Jahren Theaterbetrieb "rief das damalige Kulturamt der Stadt Wien an und fragte nach, ob wir was 'dagegen hätten', wenn sie uns fördern." In der "Palmgassen-Zeit" wird der SPIELRAUM darüber hinaus mit "neun Kleinbühnenpreisen" "die meist prämierte Bühne des Bundes". Bei den 22 Inszenierungen bis 1989 führt Werdeker nahezu immer selbst Regie und zeichnet daneben u. a. für Textbearbeitungen, Ausstattung und Bühnenbild verantwortlich. Am Spielplan stehen Strindberg, Tucholsky und Fassbinder, Schnitzler und Turrini, Frisch und Pinter sowie österreichische Uraufführung von Fitzgerald und Duras. Leonce und Lena inszeniert Werdeker 1985 "als Antwort auf Hainburg", die Spielzeit 1986/87 steht ganz im Zeichen eines groß angelegten "Werther-Projektes" und des ersten großen Themen-Zyklus, "Kein schöner Land?", mit Inszenierungen von Thomas Braschs Rotter und Bidermann. Mit der österreichischen Erstaufführung von Dürrenmatts Porträt eines Planeten scheint 1988 der künstlerische Höhepunkt erreicht. Das feste Ensemble rund um den jungen Regisseur wird damit auch zu einem festen Begriff innerhalb der Wiener Theaterlandschaft. Noch im selben Jahr bringt als erste Gastproduktion Eduard Hauswirth in einer Koproduktion mit dem Taschentheater Graz Heinrich Bölls Ansichten eines Clowns heraus. Doch so stark diese ersten Jahre des "ambitionierten" neuen Wiener Theaters auch sind: 1989 muss das Theater im 15. Bezirk geschlossen werden: Die letzte Produktion in der Palmgasse wird im April dieses Jahres die Doppelproduktion von Albert Camus' Der Fall (Regie: Gerhard Werdeker) und Simone des Beauvoirs Monolog (Regie: Walter Mathes).


"Nennen wir es doch 'Keller'"

1989 läuft der Nutzungsvertrag für die Souterrainbühne in der Palmgasse aus. Die erhöhten Miet- und Nutzungskosten, die von der ehemaligen Förderin ab diesem Zeitpunkt gestellt werden, können, selbst bei der von nun an jährlich fließenden Fördersumme der Stadt Wien, nicht aufgebracht werden. Zum zweiten Mal steht das Theater SPIELRAUM vor dem "Aus". Werdeker will das "übliche Schuldenmachen" nicht "praktizieren" und beginnt gemeinsam mit seiner Gruppe mit der Suche nach einem neuen Spielort. Das Angebot, das wesentlich größere und finanziell riskante Camera Kino in der Gentzgasse 119 zu übernehmen, lehnt Gerhard Werdeker daher ab. "Ich hatte immer das Glück, dass meine Entwicklung mich 'mitgenommen' hat. Es kamen immer Dinge, zu denen ich 'ja' gesagt habe. Ich habe aber auch oft, vielleicht zu oft, 'nein' gesagt." Dennoch ist er sich heute sicher, dass die Entscheidung gegen das mit über 300 Plätzen und einer Galerie für ihn zu große Haus im 18. Bezirk die richtig war. Das damalige Ensemble sieht das nicht so: Die Gruppe zerschlägt sich nach Werdekers Entscheidung.

Der neue Keller in einem Wohnhaus in der Rechten Bahngasse 18, "gegenüber der heutigen Musikuniversität", für den sich der Regisseur schließlich entscheidet, wird ohne festes Ensemble eröffnet. "Die Zeit der fixen Ensembles, auch bei den freien Gruppen, ging in den 80er-Jahren zu Ende", erzählt Werdeker. Im neuen Haus gibt es zwar keine fixen SchauspielerInnen mehr, dennoch bildet sich um den Regisseur ein bis heute bestehender offener Kreis von KollegInnen, die immer wieder hier arbeiten, ihre Ideen einbringen oder selbst inszenieren. "Es ist ein anhaltender Stock, immer wieder ein Zurückkommen", freut sich Werdeker über die langjährigen Begleiter des Hauses, für deren Kritik er bis heute ebenso offen geblieben ist wie für ihre Impulse. Neu dazustößt im neuen Raum dafür die Wiener Dramaturgin und Schauspielerin Nicole Metzger. Sie wird, beruflich wie privat, für Gerhard Werdeker zum Lebensmenschen und mit der Eröffnung des dritten Theater SPIELRAUMs dessen Co-Leiterin. Hatte das erste Theater SPIELRAUM "den Charme zwischen Almwirtshaus und Skihütte" mit einem "riesigen Baum, so einer Art 'Weltesche' aus Gips" in der Mitte des Foyers, einem offenen Kamin, Putzenscheibenfenstern und einem "wunderschönen Altwiener Innenhof", verfügt das neue Theater zum ersten Mal zwei Räume, die, "dieses Mal schon mit der Unterstützung der Gemeinde Wien", neuerlich mit viel persönlichem Arbeitsaufwand adaptiert werden müssen. Die geringen Mittel, die dafür zur Verfügung standen, reichen dabei gerade einmal aus, "Oberputzleitungen zu verlegen", doch der sehr spezielle Charme, den man in der ersten Bühne außerhalb des Gürtels aufgebaut hatte, lässt sich auch in die neuen Räume übertragen: Das Theater SPIELRAUM bleibt an diesem Standort über 10 Jahre.

Von 1990 bis 2001 wirkt Gerhard Werdeker im 3. Bezirk und kann hier bis in die letzten, existenziell schwierigen Jahre hinein an die 100 Produktionen präsentieren: von Regiearbeiten des Theaterleiters über zahlreiche Gastspiele, u. a. der Gruppe N.E. O. (1992), des Karin Schäfer Figuren Theaters (1993), des Theaters im Landhauskeller Klagenfurt (1997), des theater kinetis oder des ensemble adhoc (beide in der Phase der Neuadaption des dritten Raumes in Spielzeit 2001/02), Lesungen und Matineen bis hin zu Kindervorstellungen. Man eröffnet die neue Ära mit Karl Kraus epochalen Letzten Tagen der Menschheit, begleitet von einer von Gerhard Werdeker zusammengestellten Lesung aus den (Liebes-)Briefen des österreichischen Dichters, 1995 inszeniert Werdeker Lessings Nathan der Weise - "für mich vor allem auch ein Lustspiel". Das Eichmann-Protokoll, in dem der Regisseur die Verhörprotokolle über die "Bürokratie der Vernichtung" im selben Jahr für die Bühne und zwei Schauspieler adaptiert (Martin Schlager und Peter Geiger), zählt für Gerhard Werdeker bis heute zu den wichtigsten Arbeiten Mitte der Neunzigerjahre. Die Produktion findet sich bis 1997 auf dem Spielplan. Aber auch Frisch und Strindberg, Goethe und Tucholsky, Shakespeare, Canetti und Soyfer bleiben enge Wegbegleiter durch 25 Jahre und drei Häuser.

Die Jahre der zweiten SPIELRAUM-Phase werden vor allem aber durch die Weiterentwicklung der thematischen Zyklen geprägt, darunter "Dichterl(i)eben" in der Spielzeit 1990/91, "Liebespiele" (1991/92), "Österreichische jüdische Autoren " I-III und zuletzt "Freiheit und Ordnung" I & II (2000/01), aber auch Arbeitsreihen wie "Samstag um fünf" und "Sonntags um fünf" mit literarischen Begleitprogramme zur österreichischen Dramatik.

Die "dramaturgischen Bögen" und "übergeordneten Motti", vor allem in Form zahlreicher eigener Adaptierungen, prägen in den folgenden Jahren den Spielplan. Das ändert sich, als wienweit der "Zeit der Ensembles die Zeit der Themenschwerpunkte" folgt: Inflationär gewordene Programmschienen wie "Liebe, Hass und Leidenschaft" oder "Liebe, Tod und Wahnsinn" interessieren den Umtriebigen ab den späten Neunzigerjahren nicht mehr. Werdeker entwickelt gemeinsam mit Nicole Metzger drei, auch noch im dritten SPIELRAUM gültige Schwerpunkte für die künstlerische Arbeit des Theaters: Werke verfolgter österreichischer und deutschsprachiger Autoren, nicht nur der Zeit vor und während, sondern auch in den Jahren nach dem Ende des 2. Weltkrieges bis hinauf in die Gegenwart, eigene "Theatralisierungen von Texten, die ursprünglich nicht für die Bühne geschrieben waren", und die Auseinandersetzung mit Werken des klassischen Theaterrepertoires - immer mit jenem feinen und dennoch scharfen politischen Blick des Regisseurs.

Zur "Mittelbühne" wird der SPIELRAUM, auch wenn die Subventionen in den Neunzigerjahren mehr oder minder "stimmen", nicht. "Trendig" ebenso wenig: Waren in den ersten Jahren des Bestehens in zahlreichen Blättern der Stadt noch Kritiken zu finden, so verebbt auch das mediale Interesse mit der Zeit. "Ambitioniert" passt als Begriff nach 10 Jahren Arbeit einfach nicht mehr ? und "Seitenblicke" ist man nie.

Ende der 1990er-Jahre folgt die erste große finanzielle Krise. Die zugesagten Subventionen kommen monatelang nicht. Das Haus spürt nach knapp 15 Jahren "Dauerbetrieb" einen existenziellen "Würgegriff", den es bis dahin in dieser Dimension noch nicht gekannt hat. Kleine und kleinste Produktionen, Literaturmatineen zu Rosa Luxemburg und Rose Ausländer, Veza Canetti oder Marlene Streeruwitz, "Literaturmarathons" zu Goethe, Nietzsche und Fontane, aber auch eine Reihe von Gastspielen und die Programmschiene "Spielraum für Freunde" prägen den Spielplan der Monate um die Jahrtausendwende.

1998 steht mit 1848 - Ja, dürfen's denn? zum ersten Mal eine selbst zusammengestellte Produktion zum Schwerpunkt "8er-Jahre" auf dem Programm - eine Reihe von damals verwendeten Originaltexten und Liedern wird Gerhard Werdeker zehn Jahre später in neuer Form und anderer, von der Zeit "notwendig" gemachter Kontextualisierung bei Oh Wien, gib 8 aus Anlass des 25-jährigen Theaterjubiläums 2008 wieder "hervorholen". Im Herbst desselben Jahres folgt mit Shakespeare-Shake ein "Shakespeare-Marathon" mit Narrenliedern und Narrenszenen, "ein Wahnsinnsprojekt", erinnert sich Gerhard Werdeker, das das Ensemble in jeder Richtung an die Grenzen stoßen lässt. "Ich halte nichts von illustrierendem Theater und 'Bebilderungen' im Sinne einer konventionellen Textrezitation. Wenn wir uns ein Thema zur Aufgabe stellen, dann immer mit jener für mich zentralen 'Verantwortung', den 'Sinn' in unser Heute zu übertragen, fass- und greifbar zu machen."


Vom "Würgegriff" zum neuen Raum

Shakespeare-Shake wird auch existenziell ein Wendepunkt: Nach einem Besuch der Inszenierung durch den damaligen Kulturstadtrat wird das Budget des Hauses nahezu verdoppelt - und der Wunsch, mit dem Theater noch einmal an einen neuen Standort zu ziehen und das kurz darauf geschlossene ehemalige Erika-Kino vor der "Billa- und Bipaisierung" zu retten, kann zum ersten Mal als "realer Gedanke" weitergedacht und schließlich, nach fast zwei Jahren zäher Verhandlungen, mit dem zu einem großen Teil selbst finanzierten Umbau des ehemaligen "Bezirkskinos" in die Tat umgesetzt werden. "Am 31. Oktober 2001 findet das Baustellenfest statt", hält die 2002 erschienene erste Dokumentation des Theaters fest. Am 8. November des darauffolgenden Jahres wird mit Nicole Metzgers szenischer Collage Uhu, Erika & weiter in der Inszenierung von Gerhard Werdeker das neue Theater SPIELRAUM im 7. Bezirk eröffnet. Die beiden Theaterleiter stehen mit verstaubten Schuhen und in Arbeitskleidung vor dem Publikum.

Ein kleines Foto in der anlässlich der Eröffnung herausgegeben Dokumentation Aus Uhu wird Erika zeigt den "Intendanten" an die geöffnete Eingangstür des dritten Theaters Spielraum in der Kaiserstraße 44 gelehnt. "Gerhard Werdeker freut sich auf Besucher im neuen Theater", steht über dem Bild. Die Einladung zur Teilnahme, zum Dialog, auch zur Kritik, ist und bleibt ebenso zentrales Moment in der Arbeit des Wiener Regisseurs wie der gesellschaftspolitische Anspruch und die kritischen Stimme, die Werdeker auch abseits der Bühne immer wieder hören lässt.

Ein Theater führen, Inszenieren und damit immer wieder "Verantwortung übernehmen" bleibt das "Leitmotiv" seines Lebens - "und zwar nicht nur - aber auch - für das eigene Tun". "Edukativ-pädagogisch" nennt Werdeker seinen Arbeitsstil selbst - und lacht dabei. Er weiß, dass man ihm das nicht ganz glaubt. Nein, "erziehen" will er nicht und zu nichts. "Sehen machen", vielleicht. "Heute geht es nicht mehr darum, Krokodile zu hauen oder böse Räuber in die Flucht zu schlagen". Heute geht es Gerhard Werdeker darum, "Bosheiten und Bösartigkeiten des Gesellschaftssystems zu deklarieren und auf die hinzuweisen".

"Leicht" gemacht hat es sich Gerhard Werdeker damit nie. "Man geht eben den Lebensweg, den man geht, und beurteilt erst im Nachhinein, ob die eingeschlagenen Wege richtig waren oder nicht ... Ich glaube, dass man sich ständig verändert, wenn man dafür offen bleibt. Wenn man wach dafür ist, dann findet man auch immer den Weg, den es gerade braucht", resümiert Gerhard Werdeker am Ende des Gesprächs.

Auf die abschließende Frage, wie es denn "weitergeht", antwortet der Regisseur und Theaterleiter nur zögerlich. "Vorausschauen" auf die "nächsten 25 Jahre" will und kann er nicht. Dennoch scheint in den letzten Jahren ein wesentlicher neuer Baustein in seiner Theaterarbeit hinzugekommen zu sein: das eigene Schreiben, das sich immer vehementer an die Seite der Arbeit mit den Texten anderer stellt.

"Es scheint so zu sein, dass ich mich im Moment dahinbewege, verstärkt eigene Thesen zu entwickeln. Insofern markiert Oh Wien, gib 8 wieder so einen Entwicklungssprung, der vielleicht noch gar nicht erreicht ist. Ich tue mir vorher immer schwer zu sagen, was kommt. Aber was für mich immer zentraler wird, ist das Schreiben. Es wird in den letzten Jahren immer stärker und ist für mich ein wichtiger Schritt. Und es wird sicher in dieser Richtung weitergehen, wenn die Themen passen. Denn das, was ich sage, hat immer etwas mit uns zu tun. Ich mache nie Theater, nur um des Theaterspielens willen."

Kontakt
Theater SPIELRAUM
Kaiserstraße 44, 1070 Wien
Leitung: Gerhard Werdeker / Dr. Nicole Metzger
Tel.: +43/(0)1/713 04 60 60
Mail: office@theaterspielraum.at

Links
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