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Laut einem Eintrag des Wiener Magistrats, der sich heute in den Unterlagen des Wiener Stadt- und Landesarchivs zum Dido Kino (in dessen Nachfolge) befindet, wurde das Wiedner Zentral Kino bereits im Jahr 1911 gegründet, meist wird jedoch das Folgejahr 1912 als Gründungsjahr angeführt.

Der 1864 im galizischen Tarnow geborene jüdische Kinobesitzer Ulrich Kalb eröffnete das relativ kleine Kino mit einer Saalgröße von 17,8 x 5,30 Metern, das er von Pöschmann um 28.000 Schilling abkaufte, 1912 oder 1913, nachdem er das kurz zuvor in der Großen Neugasse 8 gegründete Elektro-Theater Odeon aufgrund des schlechteren Geschäftsganges nach nur einer Saison wieder geschlossen hatte. Ein erster Beleg für die Vergabe der Kinematographenlizenz an Kalb (tlw. auch: Kolb) und dessen Partner, den Huf- und Wagenschmied Josef Stärk (er selbst zeichnete seine Schreiben stets mit Sterk) datiert mit 1913, wobei die Lizenz für das „Wiedner Zentralkino“ bis 1915 bewilligt wurde.

Zuvor hatte an diesem Standort die Erste Wiener Stehweinhalle Pöschmann existiert, sodass Kalb und sein Partner Stärk erhofften, dass die hiesige Klientel auch den Kinobetrieb gut annehmen würden. So hieß es auch in einem Zeitungsartikel im Jahr 1913:

Die Direktoren Kalb und Stärk haben in dem Wiener Zentralkino ein Theater geschaffen, dessen anhaltender Besuch die Notwendigkeit eines solchen Unternehmens für den 4. Bezirk bewiesen hat. Die Direktion scheut keine Kosten, um den Besuchern stets die neuesten Bilder vorzuführen, welche sich immer auf das Zahlreichste einfinden und stets voll des Lobes über das Gebotene sind.

Das Kino hatte 226 Sitzplätze, die in zwei parallelen, lang gezogenen Reihen schlauchförmig in dem schmalen Ecklokal platziert waren. Der Eingang befand sich auf der Favoritenstraße, von den drei Ausgänge aus gelangte man auf den Favoritenplatz (ab 1931: Südtirolerpatz). Kam man in das Kino, befand man sich vorerst in einem „Entrée“ mit einer kleinen Kassa linkerhand. Von hier gelangte man in einen Warteraum und von diesem weiter, rechts gelegen, in einen Rauchsalon. Wiederum rechts von diesem befanden sich eine Kanzlei und ein Waschraum. Hinter dem Warteraum waren die Toilettenanlagen, und vom vorderen Ende des Saales gelangte man zudem in ein Musikzimmer, das wohl auch als Künstler:innen-Garderobe diente. Hinter der Projektionsfläche am Kopf des rund sechs Meter schmalen Saales lagen der Innenhof des Wohnhauses und dessen rückwärtige Einfahrt.

In den folgenden ersten Jahren des Kinos wurden immer wieder kleinere Mängel beanstandet, jedoch ohne „wesentlichen Anstand“, wie es anlässlich der neuerlichen Verlängerung der Lizenz am 1. Februar 1921 hieß.

1925 übertrug Kalb die Lizenz zur Gänze an Josef Stärk, der das Kino neben seiner Schmiede weiterbetrieb. Stärk ließ noch in diesem Jahr den „Apparatenraum“ erneuern und bemühte sich persönlich um ein Entgegenkommen der Behörden, da weitere vorgeschriebene Umbauarbeiten nicht in den finanziellen Möglichkeiten des kleinen Bezirkskinos lagen. 1928 holte er seinen Sohn Franz Stärk in den Familienbetrieb, der hier vorerst seine Lehre als Kinooperateur absolvierte.

Auch 1927 wurden bei einer Begutachtung des Kinos zu umfangreiche sicherheitstechnische Mängel festgestellt, zudem wurde gegen Stärk Beschwerde eingebracht, nachdem er den Film Peter als Held „zur Vorführung gebracht“ hatte, ohne die „vorgeschriebene Einfuhrbewilligung“ für den US-amerikanischen Langfilm vorweisen zu können. Im März 1927 hieß es in einem Schreiben Stärks, man habe „sämtliche Punkte erfüllt“, um die Weiterführung des Betriebs behördlich abzusichern. Im Juni kam es zu einer neuerlichen Anzeige, da Stärk in einen Film für Jugendliche zwei Kinder unter fünf Jahren zugelassen hatte.
Die Situation des kleinen Bezirkskinos verbesserte sich auch im folgenden Jahr nicht wesentlich. Bei eine neuerlichen Revisionen im Frühling 1928 wurde u. a. bemängelt, dass Filmreste im Bildwerferraum herumlagen und die Filmkiste nicht ordnungsgemäß eingerichtet war bzw. darin „mehrere Pappschachteln mit Filmrollen beisammen [lagen]“. 1928 kam es schließlich sogar zu einer Verhandlung, die sich auf die anhaltend kritische Situation des Kinos bezog.

Bereits 1926 holte sich, so Thomas Jelinek in Die Wiener Kinos (Bd. 2, 2022, S. 30) Stärk Emmerich Drescher als Partner in den Betrieb; doch bereits Ende des Jahres 1928 übertrug er die nunmehrige Konzession auf Anton Starha, dessen diesbezüglicher Bescheid mit 28. Dezember 1928 datiert.
Der neue Eigentümer des Wiedner Zentral Kinos, Anton Karl Starha, war am 25. Oktober 1900 in Wien geboren worden und zuvor Konzessionär des Austria Kinos in der Schlachthausgasse 16, 1030 Wien, gewesen. Im Zuge der Konzessionsübertragung teilte Starha den Behörden mit, dass er bereits als Hauptmieter von den Hauseigentümern anerkannt worden war sowie Inventar und Mietrechte von Stärk abgelöst hatte.
Sein Bruder Karl Starha, 1902 in Wien geboren und damals wohnhaft in der Rueppgasse 35, 1020 Wien, war seinerseits bereits seit Februar 1928 als Geschäftsführer am Wiedner Zentralkino beschäftigt, sodass es möglich sein kann, dass Karl seinem Bruder als erfahrenerem Kinobetreiber die Informationen über den geplanten Verkauf übermittelt hatte.

Ulrich Kalb übernahm nach seinem Ausscheiden aus dem Wiedner Zentral-Kino 1927 das Uhu Kino in der Kaiserstraße 44, 1070 Wien, das er nach nur zwei Saisonen 1929 an Irma Kohn weiterverkaufte, im dortigen Betrieb jedoch weiterhin als Geschäftsführer (Direktor) verblieb. Darüber hinaus kaufte Kalb auch in Schwechat das dortige Stadt Kino in der Sendnergasse 8.



Auch in den folgenden Jahren kam es in der Direktion der Brüder Starha laufend zu Aufforderungen, die anhaltenden Mängel im Wiener Zentral-Kino zu beheben.
Anfang 1931 wurde auch dieses Wiedner Bezirkskino mit einer Tonfilmanlage ausgestattet, die einen größeren Umbau des Projektionsraums mit sich brachte. Das Kino nannte sich von da an Wiedner Zentral-Tonkino, blieb aber im Allgemeinen als Wiedner Zentral-Kino bekannt.
Der Fassungsraum des Kinos wurde bei einer folgenden Lokalaugenscheinbegehung nun mit 249 Sitzen festgelegt.

1935 ließen die beiden Betreiber eine Luftheizungsanlage der Firma „Etna“ einbauen, deren Kollaudierung Anfang 1936 erfolgte. Bald darauf bat man Starha, einen aktualisierten Plan der Kinoanlage vorzulegen, und im Folgejahr wurden die „Klosettanlagen“ erneuert, zu denen ebenfalls Pläne in den Unterlagen des Kinos erhalten sind.



Anton Karl Starha war ein in Wien bekannter Kinobesitzer, der sich auch gerne öffentlich zeigte. So spielte er etwa am 14. Juni 1936 in einem Fußballmatch in der Mannschaft der Wiener Kinobesitzer gegen jene der Filmverleihanstalten, wobei Letztere bei herrlichem Wetter und zahlreichem Publikum 6:4 gewannen.

Ab 1936 finden sich mehrere Ansuchen des damals bereits illegalen NSDAP-Mitglieds für Sondervorstellungen des Kinos in den Unterlagen des Wiener Magistrats, so u. a. am 7. Februar der Film Deutschland „sowie das Beiprogramm das Preislied zur Aufführung“ und 14. März 1937 ein Programm des Deutschen Schulvereins Südmark: Soldaten und Sport (Deutschlands neues Heer), Der Student von heute, Stuttgart und Alpenpässefahrt.

Starha führte das Kino, nachdem sie sich bei der Reichsfilmkammer angemeldet hatten, ohne weitere Probleme auch während des Zweiten Weltkriegs weiter.
Ab 1939 vertrat Stefanie Starha ihren Mann Karl als Geschäftsführer:in des Kinos, nachdem diese in den Kriegsdienst eingezogen worden war. (Karls Name findet sich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in den Unterlagen des Wiener Magistrats.)

Am 22. Jänner 1945 gab Stefanie Starha, zu diesem Zeitpunkt seit sechs Jahren durchgehende Betriebsführerin des Kinos, bekannt, dass dieses am Vortag schwer beschädigt worden war. „Die Bombe, die durch die Lichtspiele hindurch bis in den Keller ging, zerstörte die Filmleinwand und einen Teil des Zuschauerraums. Ob die Apparaturen in Ordnung sind, konnte noch nicht festgestellt werden“, hieß es in einem Kurzbericht über die letzten Tage des Zentral-Kinos. Stefanie Starha selbst war ebenfalls ausgebombt worden und wohnte von nun an auf dem Margartener Gürtel 14, 1050 Wien, derselben Adresse wie ihr Schwager Anton Karl Starha.

Anton Starha versuchte vorerst vergebens, einen neuen Kinostandort zu erhalten, musste jedoch, als ehemaliges NSDAP-Mitglied, bis Mitte der 1950er-Jahre warten: 1956 konnte er nur wenige Gehminuten entfernt auf dem Südtiroler Platz 1 mit dem Dido Kino einen modernen und zeitgemäßen Nachfolgebetrieb eröffnen.

In seinen letzten Lebensjahren übergab Anton Starha, der zu diesem Zeitpunkt bereits in einem Wiener Seniorenheim lebte, die erhaltenen Abbildungen zu seinem Kinobetrieb an den Wiener Kino-Sammler Florian Pauer.

Quelle und Links
Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Fachverband der Lichtspieltheater, A1 – Kinoakten: 36 – Dido-Kino
Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), M.Abt. 471.A3/3: 4., Südtiroler Platz 1, Belvedere-Lichtspiele
Thomas Jelinek, Florian Pauer: Die Wiener Kinos. Wien 2022, S. 30-33.
Foto des Wehrpasses: aboutww2militaria.com

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