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1906 hatte Karl Holzdorfer auf der Reinprechtsdorfer Straße, Ecke Höglmüllergasse 1a eine kleines Bezirkskino eröffnet. Nachdem diese aufgrund der Lage und des geringen Fassungsraumes nicht den erhofften Erfolg brachte und Holzdorfers Versuch, sich mit einem „Praterkino“ zu etablieren, ebenfalls gescheitert waren, entschied er sich dafür, zwar in der Region zu bleiben und schlichtweg die Straßenseite zu wechseln. Doch das neue Kino, das er  im Zuge des „Lizenztransfers“ ebenfalls „Holzdorfer Kino“ nannte, war fast dreimal so groß, ab 1927 (nun als „Eden Kino“) sogar viermal größer als der ursprüngliche Standort und zählte damit von nun an zu den Wiener Bezirkskinos der „mittleren Kategorie“.
Das Wohnhaus, in dem das Kino errichtet wurde, hatte Holzdorfer selbst erbauen lassen, doch den Erfolg seines neuen Unterhaltungsbetriebs konnte der Kinobetreiber nur kurze Zeit genießen: Nur kurze Zeit später starb Karl Holzdorfer, und dessen gleichnamiger Sohn, Karl Holzdorfer jun., verkaufte das vierstöckige Wohnhaus samt Kino an den Kinobetreiber Otto Marschall, der seit 1911 die Kammerlichtspiele Westend (das ehemalige Zeltkino Geni) in der Wallgasse 39 leitete und diese nun seinerseits an Jakob Grünfeld verkaufte, um vom sechsten in den fünften Bezirk zu ziehen und das Holzdorfer Kino zu übernehmen.
Marschall ließ das Kino neu adaptieren und schlicht, aber gediegen ausstatten sowie als multifunktionalen Veranstaltungsraum adaptieren. In der Kinematographischen Rundschau vom 6. Dezember 1914 wurde das am 29. November desselben Jahres eröffnete Kino mit lobenden Worten vorgestellt:

Herr Otto Marschall, welcher vor einiger Zeit das Holzdorfer-Kino in der Reinprechtsdorfer Straße erworben hatte, hat bekanntlich das Theater vollständig neu
adaptieren und zum Teil umbauen lassen. Sonntag, den 29. November, konnte nunmehr Herr Otto Marschall das adaptierte Unternehmen neuerlich seiner Bestimmung zuführen.
Was hier auf dem Gebiete des intimen Kinotheaterbaues geschaffen wurde, kann wahrlich als vorbildlich dienen. Geschickt jedem übertriebenen Luxus aus dem Wege gehend, präsentiert sich das Theater in vornehmer Eleganz, wozu in erster Linie der Umstand beiträgt, dass bis in das kleinste Detail zu erkennen ist, dass hier nicht unvernünftig gespart und das Hauptgewicht darauf gelegt wurde, nicht nur für das Auge etwas zu schaffen, sondern auch der soliden Dauerhaftigkeit zu dienen und für den Betrieb alle Voraussetzungen zu schaffen, die an ein modernes Kinounternehmen geknüpft werden müssen. Von diesem Gesichtspunkte aus ist vor allem an die saubere, mit allen technischen Behelfen reichlich versehene, für den Fachmann besonders interessante Vorführungskabine zu denken. Was die Inneneinrichtung des Theatersaales, welcher aus einem stilgemäßen Galeriebau und einem Parkett besteht, anbelangt, so ist auch hier jede Überladung vermieden. Den einzigen Schmuck der Kinobühne bildet dunkler Samt und rechts und links je eine künstlerisch geformt Kaiserbüste. Die Orchester-Balustrade lässt auch jeden überflüssigen Schmuck vermissen und wirkt einzig und allein durch die Linie. Außerordentlich zierlich sind die im Hintergrund des Saales befindlichen bequemen Logen, auf deren Brüstungen kleine Stehlampen zu finden sind, die, ohne das Filmbild zu stören, gedämpftes Licht verbreiten. Auch der Balkon hat eine Loge, zu der direkt vom Galeriegang eine Tür führt. Selbstverständlich bieten die von den Eingängen vollständig getrennten Ausgangs-Kommunikationen jede mögliche Sicherheit für das Publikum. Einfach aber sauber und nett sind auch Foyer und Warteräume. Besonders effektvoll ist die Gassenfront, bei deren Anlage jede aufdringliche Wirkung vermieden wurde und deren einziger Schmuck eigentlich nur vier mächtige Ausleger, welche lichtstarke Halbwattlampen tragen, bilden. Anlässlich der Eröffnung, zu der Herr Marschall ein erstklassiges Programm gewählt hatte, waren alle Erschienenen darin einig, dass hier ein Werk geschaffen wurde, das dem Wiener Kinowesen zur Ehre gereichen muss.

Der Erfolg bestätigte den Einsatz des leidenschaftlichen Kinoleiters, sodass Marschall 1927 das Kino auf ein Großkino mit über 500 Plätzen und doppelt so vielen Logenplätzen wie bis dahin ausbauen ließ. Er fertigte das Modell selbst an, das er dem beauftragten Architekten Josef Dürr übergab. Dürr hatte bereits Erfahrung in der Planung und Adaption von Kinos:  1909 hatte er bereits das Imperial Kino geplant. (1912 war er für die Planung des Wohnhauses Linke Wienzeile 58 verantwortlich.) Um das neue Großkino in den vierstöckigen Bau integrieren zu können, musste Dürr die Eisenbetonrahmen von sechs mal neun Metern entfernen und diese durch das gesamte Haus tragende Eisensäulen ersetzen, eine enorme bauliche Herausforderung. Parallel zu den Umbauarbeiten ersuchte Marschall um die neuerliche Umbenennung seines Kinos in „Eden Kino“.

Am 31. Oktober 1927 fand die erneut feierlich Eröffnung des gediegenen Margaretener Großkinos statt.

Mit einem Gefühle freudiger Überraschung haben wir dieser Tage das am 31. Oktober nach gründlichem Umbau eröffnete Austria-Kino in der Reinprechtsdorfer Straße, das nun die Bezeichnung Eden-Kino führt, betreten. Freudig überrascht aus dem Grunde, weil uns das auch früher mustergültig betriebene und sorgsam gepflegte Kino, welches Eigentum des Herrn Otto Marschall ist, in ganz anderer Gestalt entgegentrat. Die Leute, die abfällig über das Wiener Kino sprechen, ohne es genau zu kennen, die müssten einmal einen Rundgang machen, um zu sehen, wie jeder einzelne Kinobesitzer im Rahmen seiner materiellen Mittel bestrebt ist, sein Kino zu verbessern und zu verschönern. Herr Marschall hat mit diesem Umbau ein wahres Wunderwerk geschaffen. Auf dem verfügbaren Raum in einem vierstöckigen Wohnhaus, der sich nicht erweitern, nur praktisch ausnützen ließ, ist hier ein Kino erstanden, das zu den Zierden Wiens gehört. Praktiker und Baumeister haben sich zu gemeinsamer Arbeit vereinigt und eine glückliche Lösung des Prinzips gefunden.
Herrn Marschall gebührt das Verdienst, als praktischer, alterfahrener Kinobesitzer dem Baumeister die Wege gewiesen zu haben. Herr Marschall fertigte seihst ein Modell an, welches der Architekt als aus gezeichnet fand, und dieses war die Grundlage des ganzen Umbaues, So ist denn der Bau zur Freude des Besitzers gelungen und die Fachleute unserer Branche staunen, was hier geschaffen wurde. Es ist ein Erfolg der fleißigen, jahrelangen Arbeit des Herrn Marschall, eines unserer ältesten Kinobesitzer, der ja allen Kollegen ein lieber Freund ist und dem sie in aufrichtiger Verehrung zugetan sind. Otto Marschall, dieser prächtige Mensch, aus dessen Auge die Güte und Wärme des Gefühls spricht, ist einer der Besten unserer Branche, und alle, die ihn kennen, müssen sich freuen, dass es diesem gütigen, lieben Menschen gelungen ist, solch schönen Erfolg seiner jahrelangen Arbeit zu sehen und sie vereinigen sich gewiss mit uns in dem Wunsche, daß es ihm noch lange beschieden sein möge, die Früchte einer mühevollen Arbeit zu genießen. Wir haben dieses Produkt seines Schaffens, das neue Eden-Kino, besichtigt und haben die geleistete Arbeit bewundert. Schon die glanzvolle Front mit ihrem ornamentalen Schmuck fesselt das Auge und umso anheimelnder ist das Innere. Der große Saal, der auf 533 Sitze erweitert wurde und 15 schöne Logen besitzt, macht in seiner lichten Tönung, seiner kunstvollen Malerei und seinem hellen, aus geschmackvollen Lustern fließenden Lichte einen entzückenden Eindruck. Das Publikum fühlt sich in den Stühlen, die elegant und bequem sind, ungemein wohl und die Logen bieten einen angenehmen Aufenthalt. Für die Projektion stehen 2 A.-H.-G.- Maschinen bereit, und die Bildflache ist so vergrößert, daß eine fabelhafte Vorführung ermöglicht wird. Auch in dieser Beziehung kann man viel von der Art der Vorführung lernen. Der Orchesterraum ist für eine große Kapelle gebaut, davor befindet sich ein Podium für den Fall von Varietévorträgen, und es sind sogar luxuriöse Garderoben für Künstler geschaffen worden, um einen kompletten Theaterabend zu ermöglichen. Wenn man das Theater betritt, liegt unten eine elegante Halle, im ersten Rang befinden sich Rauchsalons, die mit ihren vergoldeten Stühlen und ihren hübschen Lustern den Eindruck erwecken, als ob man in einem großen Sprechtheater wäre. Der Saal ist angenehm erwärmt und vortrefflich gelüftet, denn die Firma Geberit hat mit ihrer neuzeitlichen Zentralluftheizungs- und Ventilationsanlage das Allerbeste auf diesem Gebiete geschalten. Diese im Keller befindliche Anlage ist ein Meisterwerk moderner Heizungs- und Lüftungstechnik. Herr Marschall hat vier Monate hindurch von zeitig morgens bis in die Nacht alle Arbeiten überwacht, überall praktische Anleitungen gegeben und man kann ruhig sagen, daß alles seinem Kopfe entsprang und nach seinem Kopfe ging, weil er die Erfahrung hat und besser als Architekt und Baumeister wusste, wie eine hautechnische Frage mit den Anforderungen des neuen Kinogesetzes und den Ansprüchen des Publikums in Einklang zu bringen ist. Der mit den Entwurfsarbeiten betraute Architekt, Ing. Stadtbaumeister Johann [Josef!] Dürr, hat nach gründlichem Studium des bestehenden Bauwerkes und ein gehenden statischen Berechnungen, welche die technische Möglichkeit der projektierten Herstellungen ergaben, in engster Zusammenarbeit mit Herrn Otto Marschall das Projekt für den Umbau hergestellt, welches auch die behördliche Genehmigung erhielt. Die Aufgabe war eine äußerst schwierige, da der ganze Saal von dem vier Stock hohen Hause überbaut ist und die Saalkonstruktion aus Eisenbeton in Rahmenkonstruktion besteht. Zur Schaffung der neben den Sitzen befindlichen Ausgänge in den erforderlichen Breiten mussten nun solche Eisenbetonrahmen mit ca. 9 m Spannweite und 6 m Höhe entfernt werden und durch eiserne Säulen mit Überlagen von genieteten Trägern ersetzt werden. Ebenso mussten zur Schaffung der nötigen breiten Ausgänge auf die Straße Mauerpfeiler abgefangen werden. Mit der Ausführung der Baumeister- und Eisenbetonarbeiten wurde die Vaterländische Baugesellschaft A. G. betraut, für welche auch Architekt Dürr die effektive Bauleitung übernahm. Die Durchführung der schwierigen Arbeit erfolgte programmgemäß in musterhafter Weise unter Verwendung besten Materials und gediegener Arbeitskräfte in raschester Weise trotz großer Schwierigkeiten infolge tiefer Fundamente, Brunnenüberdeckung etc. sowie durch die Rücksichtnahme auf die Hausparteien ohne den geringsten Unfall und dank der gediegenen technischen Vorarbeit und ständigen Beaufsichtigung durch den bauleitenden Architekten ohne jede Beeinträchtigung oder Rissbildung in den Gebäudeteilen. Der Vaterländischen Baugesellschaft gebührt daher vollste Anerkennung ihrer außerordentlichen Leistung.
Der Leiter des Stadtbauamtes, Herr Oberbaurat Ing. H. Schmidt, sowie zahlreiche Herren des Stadtbauamtes besichtigten an der Baustelle die gewiss nicht  alltäglichen Konstruktionen, ließen sich die Durchführung erläutern und äußerten sich lobend über die gelungene Ausführung. So möge denn dieser neue Bau seine Bestimmung erfüllen: Seinem Besitzer die Früchte der Arbeit und des aufgewendeten Kapitals zu bringen, dem Lichtspielwesen durch diese schöne Stätte der Kultur des Films neue Freunde zu erwerben.
(Das Kino-Journal, 10.12.1927, S. 5 f.)
1928 feierten Albine und Otto Marschall ihre silberne Hochzeit, die zu einer mittleren Jubelfeier der beiden Kinobetreiber;innen wurde. Das Wiener Kino-Journal stellte in seiner Ausgabe vom 2. Juni dieses Jahres (S. 5 f.) das Ehepaar vor und wies dabei darauf hin, dass auch Albine Marschall im Kino ihres Mannes tätig war.
Im Sommer 1930 folgte der nächste Modernisierungsschritt: Marschall ließ eine Tonfilmanlage einbauen, und ab 24. Oktober des Jahres war auch das Eden Kino ein Wiener Ton-Kino.

Otto Marschall zählte zu den aktivsten und meistgeschätzten Kinobetreibern Wiens jener Jahre. Er war u. a. Vizepräsident des Bundes der Wiener Lichtspieltheater und Gründer des Gremiums der Lichtspielunternehmer Österreichs und setzte sich kontinuierlich für die Verbesserung der existenziellen Situation der in seiner Branche tätigen Kolleg:innen ein. Anlässlich seines 60. Geburtstages erschien im Wiener Kinojournal vom 11. Februar 1933 ein ausführliches Porträt (S. 4–6) des hoch geschätzten Kinobetreibers, dem man ein prominent besetztes Geburtstagsfest im Gasthaus „Zum goldenen Hirschen“ auf der Alserstraße ausrichtete.

Als Otto Marschall im September 1934 mit nur 61 Jahren unerwartet starb, wurde sein Begräbnis von zahleichen Menschen und unter großen Anteilnahme begleitet. Und das Wiener-Kinojournal widmete ihm einen mehrseitigen Nachruf.

Nach Otto Marschalls Tod übernahm dessen Witwe Albine Marschall den Betrieb und führte ihn auch während des Zweiten Weltkriegs, nun als „nazifizierten“ Betrieb weiter, ab 1940 hieß das Kino, den Vorgaben des NS-Regimes folgend, „Eden Lichtspiele“. Im selben Jahr holte sich die Kinobesitzerin Rochus Markwart als Geschäftsführer in das Kino. Im Februar 1942 ließ sie die neue Firma „Eden-Lichtspiele Albine Marschall“ in das Handelsregister eintragen.
Im selben Gebäude, das weiterhin der Familie Marschall gehörte, befand sich während des Zweiten Weltkriegs die NSDAP-Ortsgruppe Siebenbrunnenfeld.
1944 wurde das Eden Kino bei einem Luftangriff schwer beschädigt. Marschall entschied sich wohl zeitgleich, das Kino, das sie und ihr Mann weit über 30 Jahre geführt hatten, an ihren Mitarbeiter abzugeben: Nach ihrem Tod wurden Rochus Markwart und dessen Frau Gabriele die neuen Eigentümer:innen des Eden Kinos, wobei Ersterer weiterhin das Tagesgeschäft führte und Gabriele Markwart als Konzessionärin aufschien.

1956 bemühte man sich die nun rasch wachsende Konkurrenz durch das Fernsehen mit einer letzter Modernisierung des großen Bezirkskinos noch etwas zu lindern. Doch der Besucherschwund blieb auch in den folgenden Jahren deutlich. 1959 holte sich das Ehepaar Markwart mit Berta Kaufmann eine dritte Partnerin in den Betrieb, das Kino wurde von nun bis zuletzt als Gesellschaft geführt („Eden-Lichtspiele, Markwart & Co. OHG).
Nachdem man die erste Welle des Wiener „Kinosterbens“ so überstanden hatte, wurde der kritische Punkt Anfang 1970 erreicht: Am 31. Mai 1970 wurde hier der letzte Kinofilm gezeigt, Ein feines Pärchen mit Claudia Cardinale und Rock Hudson (I 1968, Regie: Francsco Maselli). Danach wurde das Eden Kino geschlossen. Heute ist diese einstige Wiener Kino-Institution und ihr langjähriger Leiter Otto Marschall nahezu vergessen.

An der Adresse findet man im Sommer 2025 eine Filiale der Parfümeriekette „Bipa“.



Quellen und Links
Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), M.Abt. 104, A11: 5. Eden-Kino
Stadt- und Landesarchiv, Reichsfilmkammer (WStLA), , Außenstelle Wien, A1 – Kinoakten: 19 Eden-Kino
Thomas Jelinek, Florian Pauer: Die Wiener Kinos. Bd. 2. Wien 2022, S. 65–68.
https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Austriakino_-_Edenkino#_fba8daea37115e3ceb678527327bf86f
https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/NSDAP-Ortsgruppe_Siebenbrunnenfeld#_cb5811fcfe273b1252a7a117252c2018

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