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Vorerst gescheitertes Kinoprojekt Im März 1916 bemühte sich der 1878 in Brandreis an der Elbe geborene Berufsschauspieler Julius Pipping, damals wohnhaft auf dem Rennweg 75, 1030 Wien, um die Lizenz für eine neues Kino im fünften Bezirk an der Margaretenstraße 127. Im Zuge einer Begehung des Areals hieß es damals in den behördlichen Unterlagen, dass sich das geplante Kino im Untergeschoß des Hauses befinden würde und aus zwei großen Räumen bestehen sollte: einem Zuschauerraum und einem Warteraume. Weitere Räume standen für die Abortanlage zur Verfügung, vier Ausgänge sollten auf die Margaretenstraße führen, und auch der Operateurraum auf dieselbe Straße führen. Neben dem geplanten Kino befand sich ein Gasthaus, von dem man sich ebenfalls gute geschäftliche Kontakte erhoffte, sodass prinzipiell kein behördlicher Anstand gegen das Kinoprojekt vorlag. Dennoch wurde Pippings Antrag vonseiten des magistratischen Bezirksamtes, Bezirksvertretung Margareten, als „sehr fraglich“ bezeichnet, da sich zum damaligen Zeitpunkt bereits sechs Kino in Betrieb befanden sowie eine siebentes aufgrund des schlechten Geschäftsgangs geschlossen werden musste. Daher hieß es in den Unterlagen der Bezirksvertretung an das magistratische Bezirksamt, gezeichnet vom damaligen Bezirksvorsteher Thomas Ponzer: „Im V. Bezirke sind folgende Kinematographentheater im Betriebe: Schönbrunnerstraße 143, Reinprechtsdorferstraße 33, Matzleinsdorferplatz 2, Margaretenstraße 80, Stolberggasse 23, Schönbrunnerstraße 10. Die Bezirksvertretung ist der Anschauung, dass damit den Bedürfnissen nach derartigen Unternehmungen vollauf Rechnung getragen ist und findet sich in dieser umso mehr bestärkt, als ein im V., Schönbrunnerstraße No. 89 in Betrieb gesetztes Kinotheater wegen Mangel an Zuspruch geschlossen werden musste. Der Bedarf nach einer neuen Lizenzerteilung und die Lebensfähigkeit eines weiteren derartigen Unternehmens muss daher als sehr fraglich bezeichnet werden.“ Pipping zog wohl sein Ansuchen zum damaligen Zeitpunkt zurück und eröffnete wenige Monate später, im Jahr 1917, die Lizenz für das Husarenkino im neunten Bezirk, die er jedoch seinerseits nur ein Jahr lang aufrecht halten sollte. 1917: Gründung durch Marie Wlach, geborene Patak (Lizenztransfer) Bereits wohl Ende 1916, spätestens Anfang 1917 bemühte sich die damals in der Anzengrubergasse 11, 1050 Wien, wohnhafte Marie Wlach erneut um diesen Standort. Wlach war am 7. Dezember 1873 als Marie Patak im böhmischen Zelkowitz (Želkovice) als Tochter des Maurers Anton Patak und dessen Frau Maria (geb. Sedlacek) geboren worden, katholisch getauft (8.12.1873, Pfarre Tabor), Witwe und, wie sie selbst anführte, seit 1908 Inhaberin eine Kinematographenlizenz für das Margareten Kino in der Stolberggasse 23A, ebenfalls im fünften Bezirk, sodass mit dem Lizenztransfer kein weiteres Kino eröffnet werden, sondern schlichtweg der Standort eines der bestehenden Bezirkskinos geändert werden sollte. Im Falle der erfahreneren Kinobetreiberin wurde dem Ansuchen dieses Mal stattgegeben und das neue Wiener Kino als „Schlössl-Kino“ eröffnet. Am 10. Februar 1917 schloss Wlach mit dem damaligen Hauseigentümer, Gustav Holaubek, vertreten durch den Architekten Adolf Bügler, das Holaubek sich zu diesem Zeitpunkt in Kriegsdienst befand, einen Mietvertrag für das ebenerdige Kino im Gebäude Einl.Z. 973 ab. Die Räumlichkeiten wurden darin wie folgt beschrieben: „[...] einen aus 4 Gassenöffnungen gegen die Margaretenstraße bestehenden Warteraum, einen aus 3 Gassenöffnungen gegen die Margaretenstraße bestehenden Saal mit einer Fläche von circa 200 Quadratmetern, ferner einen Vorraum mit Abortanlagen, einen Requisitenraum, einen Umschaltraum und ein aus 2 Gassenöffnungen gegen die Margaretenstraße bestehendes Souterrainlokal.“ Der Mietzins betrug 5.500 Kronen und sollte im Jahr 1918 auf 7.500 Kronen erhöht werden, sofern der „gegenwärtige Krieg“ zu diesem Zeitpunkt beendet sein sollte. Das Margareten Kino betrieb Wlach parallel dazu noch rund eineinhalb Jahr, bis 1919, ehe sie es an Martin Votava verkaufte, und sich nur noch auf ihren nahe gelegenen neuen Betrieb konzentrierte. Ab diesem Zeitpunkt waren, trotz des 1916 festgehaltenen Bedenkens, sechs aktive Kinos in Margareten. Wenige Monate später, am 24. Jänner 1918, heiratete die damals 45-jährige Kinobetreiberin den 17 Jahre jüngeren, damals im Kriegsdienst stehenden Paul Alois Grifaton in der Kapelle der Rossauerkaserne (k. u. k. Feldsuperiorat). Paul, hieß es später in dessen Ansuchen um Aufnahme in die Reichsfilmkammer, wurde umgehend nach seiner "Rückkehr aus dem Felde (nach 45-monatlicher Felddienstleitung) Betriebsführer des Kinos". Das Ehepaar führte das Schlössel Kino ab der Hochzeit in Wien gemeinsam: Marie Grifaton blieb auch in den folgenden Jahren alleinige Lizenzinhaberin, ab 1926 Konzessionärin, ihr Mann Paul zeichnete als Geschäftsführer für den Tagesbetrieb verantwortlich. Wie aus den Unterlagen zur Erneuerung der Lizenz von 1921 hervorgeht, hatte das kleine Bezirkskino zu diesem Zeitpunkt einen Fassungsraum von 298 Plätzen, zählte also mit rund 300 Plätzen – davon 21 Reihen zu je 12 Klappsitzen (252), 6 Logen zu je 4 Sitzen (24) und 22 Seitensitzen – knapp zur Gruppe der Wiener Mittelkinos (300–500 Plätze). ![]() 1926 nannte sich das Kino in seinen schriftlichen Unterlagen Schlößl-Kino-Theater M.[arie] Grifaton. 1927 kam es zu einer behördlichen Abmahnung des Betriebs, nachdem der US-amerikanische Spielfilm Im Rauschen des Urwalds, vertreten durch die Fox Film Corp. In der Mariahilfer Straße 47, 1060 Wien, ohne „vorgeschriebene Einfuhrbewilligung“ gezeigt worden war. Im März 1928 bat Grifaton um die Erlaubnis, am 24. des Monats bis 12 Uhr nachts spielen zu dürfen – man feierte das zehnjährige Jubiläum ihres Operateurs Karl Matzka mit einer Benefiz-Vorstellung zu dessen Gunsten. Im Mai dieses Jahres kam es zu einer neuerlichen behördlichen Abmahnung, nachdem die im Kino beschäftigten Musiker in den Räumen geraucht hatten. „Ich habe aus diesem Anlass die strenge Beobachtung des Rauchverbotes neuerlich eingeschärft“, hieß es dazu streng seitens des verantwortlichen Betriebsprüfers. Im Sommer 1928 kam es zu einer umfangreicheren baulichen Veränderung, da Marie Grifaton in ihrem Kino einen modernen Umwickelraum errichten ließ, sodass in dem im Hof gelegenen bisherigen Bildwerferraum eine Trennwand versetzt und aus einem Fenster ein zweiter Ausgang gemacht werden musste. Als weitere bauliche Maßnahme wurde der Einbau „einer eisernen Abgangsstiege in den linken Haushof“ vorgesehen. 1930 zeigte Ing. Franz Hamberger, Sekretär der Union des Bühnen- und Kinopersonals, den Betrieb an, nachdem man hier einen nicht befugten Operateur mit der Vorführung der Filme betraut hatte. In der Erläuterung zu den Ereignissen wurde dargelegt, dass man sehr wohl einen Operateur mit Legitimation durch den Wiener Magistrat betraut hatte – diese jedoch seit „mehr als zwei Jahren ungiltig sein dürfte“. Es kam daraufhin zu einer Strafverfügung gegen das Kino, im Zuge derer Paul und Marie Grifaton 20 Schilling zu zahlen hatten. Nach diesem unerfreulichen Vorfall kurz vor Jahresende 1930 bemühte sich das Ehepaar in mehreren Schreiben 1931 um die Anstellung neuer Operateure, die dem wohl aus dem Betrieb geschiedenen erfahrenen Kollegen Matzka folgen sollten. Das Schlössl-Kino wird ein Tonkino Im Wiener Gesamtvergleich auffallend spät wurde im Schlössl Kino erst im September 1931 eine Tonfilmanlage errichtet, wobei im Bilderwerferraum die Verstärker und im Umrollraum die Gebläse aufgestellt wurden und die Bildfläche einen Viertelmeter nach vorgerückt wurde und der Lautsprecher dahinter angebracht wurde. „Der Bildwerferraum hat nur eine Höhe von 2,10 m; von einer Erhöhung wird mit Rücksicht auf den alten Bestand derzeit abgesehen“, hieß es im Bescheid von 22. September 1931. 1932 kam es zu einer neuerlichen personellen Veränderung: Da auch Paul Grifaton zu diesem Zeitpunkt gesundheitlich angeschlagen war, bat das Ehepaar darum, Margarete Hutter als stellvertretende Geschäftsführerin in den Betrieb aufzunehmen. Margarete Hutter wurde am 23. Juni 1905 in Wien geboren und wohnte mit ihrem Mann Robert Hutter, einem Beamten, in der Operngasse 6, 1010 Wien. NS-Zeit Bereits 1933 begann man im Schlössl-Kino mit der Vorführung von dem NS-Regime nahestehenden Organisationen. So wurde am 14. Juni 1933 von 23 Uhr bis 1 Uhr früh eine Sondervorführung von Wilhelm Jäger genehmigt, bei der Die Kaiserjäger im Feuer und Österreich beim Tag der nationalen Arbeit in Berlin gezeigt wurden. Kein Geringerer als Oskar Werner, der seine Kindheit in der Nähe verbrachte, gehörte zu den Besuchern des kleinen Kinos in Wien-Margareten in der diesen Jahren. Am 1. Jänner 1933 kam es zu einer innerfamiliären Vereinbarung, deren offizielle Abschrift jedoch erst am 4. Juni 1936 erfolgte: Marie Grifaton und deren Schwägerin Marie Patak, geborene Schiröcker, schlossen an diesem Tag einen Gesellschaftsvertrag ab, in dem festgehalten wurde, dass Marie Grifaton, Private (5., Reinprechtstorfer Straße 47) und Marie Patak, Oberkommissärsgattin (5., Margaretengürtel 6) sich "zum Betriebe des Schlösselkinos" zu einer Gesellschaft "auf unbestimmte Zeit" vereinigten, deren Tätigkeit an diesem Tag beginnen sollte. Grifaton brachte ihrerseits das Kino im Wert von 45.000 Schilling ein, Patak zahlte einen Betrag in derselben Höhe in das Gesellschaftskonto ein und war von nun an für die "Buch- und Kassaführung" des Kinos zuständig, während Grifaton mit den "sonstigen geschäftlichen Obliegenheiten" betraut wurde. Schließlich wurde festgehalten, dass im Falle des Ablebens einer der beiden Frauen Paul Grifaton das Recht behalten sollte, in den Vertrag bzw. Betrieb einzusteigen. Am 7. Mai 1940 änderte sich die rechtliche Situation des Kinos insofern, als Maria Grifaton, damals über 65 Jahre alt und wohl bereits schwer erkrankt, per Notariatsakt von Dr. Anton Seidel, Notar in Wien-Favoriten, ihren Anteil am Kino an ihren Mann Paul zur Gänze abtrat. In dem Dokument wird zudem auf den Gesellschaftsvertrag von 4. Juni 1936 (bzw. 1. Jänner 1933) hingewiesen, nachdem Grifaton "Teilhaberin zur Hälfte des vormaligen Schlösselkinos, jetzt ,Schlössl-Lichtspiele'" war, "mit einem Geschäftsanteile, welcher ihrer bar und voll eingezahlten Geschäftseinlage von RM 30.000.- entspricht". Inwieweit dieser Vertrag jenem vom 1. Jänner 1933 entsprach oder es sich um eine modifizierte Version des früheren Vetrags handelte, ist aufgrund der fehlenden Unterlagen nicht mehr festzustellen. Wichtig war der Notariatsakt von 1940 vor allem in Hinblick auf die Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, der er auch vorgelegt wurde, galten von nun an doch Paul (und nicht mehr Marie) Grifaton sowie Marie (Maria) Patak als die beiden Eigentümer:innen des Kinos, dessen Gesellschafter:innen und letztlich Anwärter:innen um die Spielgenehmigung für den gemeinsamen Betrieb. Sowohl Paul Grifaton wie Maria Patak hatten bereits im Mai 1939, also noch dem Abschluss des eben erwähnten Vertrags, ihre Ansuchen um Eingliederung in die Reichsfilmkammer vor. Im Mai 1940 erfolgte der Antrag von Paul Alois Grifaton, damals wohnhaft in der Reinprechtstorfer Straße 27, 1050 Wien, und Maria Patak, die zu diesem Zeitpunkt am Margaretengürtel 6, Wien 55, gemeldet war, um Eingliederung in die Reichsfilmkammer mit deren gemeinsamem Betrieb "Schlössl Lichtspiele". Dabei wurde in den Nachweisen ausgeführt, dass der Mietvertrag am 1. April 1940 zwischen den beiden Eigentümer:innen des Kinos und den Hauseigentümer:innen Karl und Paula Halbgebauer, ein Fleischer-Ehepaar aus dem 20. Bezirks (Wallensteinstraße 5) abgeschlossen worden war. Maria Anna Patak wurde am 31. August 1893 in Wien als Tochter von Eduard und Karoline Maria Schiröcker geboren und hatte am 29. November 1917 den 1886 in Wien geborenen Franz Anton Patak, Marie Grifatons 13 Jahre jüngeren Bruder, geheiratet. Wie weit Marie Grifaton als frühere Kinobetreiberin, zu diesem Zeitpunkt bereits schwer erkrankt, noch am Spielbetrieb beteiligt war, ist aus den erhaltenen behördlichen Unterlagen nicht nachzuvollziehen. Wie weit sie selbst bereits vor dem „Anschluss“ als „Illegale“ tätig geworden war, ebenfalls nicht. Fest steht hingegen, dass ihr Mann Paul Grifaton sich bereits 1927 der NSDAP angeschlossen hatte und ihre Schwägerin Marie Patak ab 1934 Mitglied des „NS-Kampfopferringes“ war.* Die Spielbewilligung der Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, lag schließlich von 23. November 1939 und erneut von 16. April 1940 bis zu Kriegsende 1945 bei den beiden Eigentümer:innen des Kinos bzw. Teilhaber:innen der OHG. Das Kino selbst wurde nun mit 297 Plätze geführt. Im März 1941 wurde Paul Grifaton seitens der RFK, Außenstelle Wien und dessen Leiters Dr. Hammer aufgefordert, an einem "Theaterleiterlehrgang" teilzunehmen. Daraufhin versuchten die Leiter:innen des Kinos, dies zu verhindern, in dem sie deutlich machten, dass Grifaton bereits seit "langen Jahren in dem Filmtheater seiner Ehefrau tätig gewesen" sei. Im Juni 1942 kam es zur "Rückstufung" des Betriebs in Hinblick auf die Auslieferung der deutschen Wochenschau, sodass die Schlössl Lichtspiele nun nicht mehr die neueste Wochenschau erhielt, sondern in die zweite Reihe herabgestuft wurde. Eine Tatsache, gegen die sich Paul Grifaton, wenn auch letztlich erfolglos, mit einem persönlichen Schreiben an Dr. Hammer zu widersetzen versuchte. Relevant ist Grifatons Schreiben aus heutiger Perspektive vor allem in Hinsicht auf dessen Darstellung seiner persönlichen Nähe zur NSDAP und der damit gegebenen frühen Ausrichtung des Kinos. Grifaton hielt am 10. Juni 1942 in Bezug auf die "Wochenschau-Rückversetzung" der RFK, Außenstelle Wien, fest: "Bin seit dem Jahr 1927 [!] Kämpfer der Partei und habe mich als solcher auf propagandistische Art und Weise stets hervorragend betätigt. Ferner war ich einer der ersten Lichtspieltheater-Leiter, der es wagte, in der illegalen Zeit die damalige Ufa-Wochenschau vorzuführen und habe sogar die verbotenen Szenen eigenmächtig eingeklebt und vorzuführen gewagt. Dieses Handeln meinerseits führte oft zu tosenden Beifallsbekundungen und mein Betrieb bald allgemein das ,Nazi-Kino' genannt wurde. Alle anderen Tätigkeiten meinerseits anzuführen, erachte ich als Idealist für überflüssig. Bemerke nur noch, dass ich für mein Verhalten auch mit der Erinnerungsmedaille ausgezeichnet wurde. Durch die nun erfolgte Zurücksetzung fühle ich mich sehr gekränkt, da ich meine Tätigkeit nicht wie bisher entfalten kann, gebe der Hoffnung Ausdruck, dass diese Zurücksetzung ehestens wieder aufgehoben wird und ich wieder mit der ersten Folge beliefert werde." Die Antwort folgte drei Tage später, am 13. Juni 1942, kurz und deutlich: Man könne aus "kriegsbedingten Gründen" dem Wunsch Grifatons nicht entsprechen. Situation ab 1945 Da das Kino demnach zu 100 Prozent in Besitz von nachweisbaren Nationalsozialist:innen lag, waren dieses aufgrund des Veranstaltungsbetriebsgesetzes von 27. Juli 1945 ab diesem Zeitpunkt nicht mehr befugt, den Betrieb zu führen. Bereits vor der Wiedereröffnung des Betriebes am 28. August 1945 stand das Kino daher unter der „provisorischen Leitung“ des auf dem Margaretenplatz 4/16, 1050 Wien, gemeldeten Ludwig Summer. Summer war Jahrgang 1903 und von 1930 bis 1934 Mitglied der sozialdemokratischen Partei gewesen sowie von 1934 bis 1938 der KP. Zwischen 1938 und 1945 hatte er zudem in der illegal Bezirksleitung der KP gearbeitet und galt nun ans zuverlässiger Werber um die provisorische Leitung des vormaligen NS-Betriebs. Die Fassade des Kinos war mit allen Werbeanlagen durch die schweren Luftangriffe zu Kriegsende völlig zerstört worden; ebenfalls war die Stromversorgung unterbrochen worden, und das Kino musste zwischen 20. Februar und seiner Wiedereröffnung Ende August geschlossen und wieder spielbar gemacht werden – eine Aufgabe, die von Summa, so die Bestandsaufnahme der „Übernahmebilanz“ von Oktober 1945, organisiert und betreut wurde. Wie aus einem Bericht über den Betrieb des Buchsachverständigen Paul Richter aus dem Oktober 1945 hervorgeht, war das Kino „ein dürftig ausgestatteter Kleinbetrieb mit [nunmehr] 295 Sitzplätzen“. Am 14. Oktober 1945 wurde das Kino schließlich wie fast alle Wiener Kinos in die öffentliche Verwaltung von Dr. Alfred Migsch gestellt. Die Auszahlung des Reinertrages wurde in diesem Falle gesperrt, da beide Eigentümer:innen bereits in der illegalen Zeit Nationalsozialist:innen gewesen waren, d. h. nicht erst nach dem „Anschluss“ zur NSDAP gekommen waren. In einem knappen Schreiben an den Magistrat, Abteilung 69, zu Handen Diplomkaufmann Geiger, von 24. April 1947 bat Paul Grifaton, der seit der Übernahme des Betriebs in die öffentliche Verwaltung ohne Einkommen war, um die Gewährung eines Aushilfebeitrages bzw. Lebensunterhaltsbeitrages, da er seine schwer kranke Frau, die zu diesem Zeitpunkt 74-jährige Marie Grifaton, zu pflegen hatte: „Durch die schon über 2 Jahre dauernden Verhältnisse gezwungen, Schulden zu machen, um für meine schwerleidende Frau und mich den Lebensunterhalt bestreiten zu können, nun nicht mehr in der Lage bin, weitere Geldquellen zu erschließen, sehe ich mich genötigt, Sie inständigste zu bitten, mir mit einem einmaligen größeren Betrag, um meine dringendsten Verbindlichkeiten zu erfüllen, dann für fernerhin einen laufenden Lebensunterhaltsbeitrag aus dem aus unserem Betrieb verwalteten Reingewinn aus der äußersten Not zu helfen“, hieß es im Schreiben Paul Grifatons. Und auch die in der Blechturmgasse 1/7, 1050 Wien, wohnhafte Miteigentümerin des Kinos Maria Patak hielt in ihrem am selben Tag datierten Schreiben fest, auch sie wäre mit ihrem Gatten schon „über 2 Jahre ohne jedweden Einkommens“, „total ausgebombt und ausgebrannt“ und bitte um einen „einmaligen größeren Aushilfsbetrag“ sowie daran anschließend um einen „laufenden Lebenserhaltungszuschuss“ aus dem familieneigenen Betrieb. Die beiden Ansuchen wurde an Dr. Migsch weitergeleitet mit dem Hinweis der MA 69, man sei „im gegenwärtigen Zeitpunkte“ nicht damit betraut, über Ansuchen dieser Art zu entscheiden und es wäre Dr. Migsch als öffentlicher Verwalter, der „selbst hierüber [zu] entscheiden“ habe. Migsch, vertreten durch Friedrich Horn, lehnte dieses Ansuchen jedoch ab und argumentierte im Mai 1947 deutlich mit der NS-Vergangenheit der beiden Eigentümer:inen: „Die obgenannten Eigentümer sind registrierungspflichtige Nationalsozialisten. Das Verbotsgesetz 1947 sieht für sie ein Berufsverbot bis zum Jahr 1950 vor. Die von Patak und Grifaton bisher innegehabte Spielbewilligung ist im Sinne des Veranstaltungsbetriebsgesetzes erloschen. Ein Betrieb ohne Berechtigung ist jedoch im Sinne des Gewerberechtes kein Unternehmen. Die von dem Berufsverbot und von dem Verlust der Spielberechtigung betroffenen beiden Nationalsozialisten verlieren zwar nicht ihre Vermögensrechte an dem Betrieb, besitzen jedoch keine Rechte, aus dem Betrieb etwas Anderes, als den Miet- und Pachtschilling für die ihnen gehörige Betriebseinlage zu beziehen. Als öffentlicher Verwalter bin ich daher nicht berechtigt, Beträge auszuzahlen, solange sich die beiden Obgenannten mit dem Konzessionär des Betriebes sich über die Vermietung der Betriebseinrichtung geeinigt haben. Die Konzession zum Betrieb dieses Kinos hat Ende März 1947 die KIBA erhalten. Ein Mietvertrag zwischen Grifaton und Patak einerseits und der KIBA andererseits ist aber bisher noch nicht zu Stande gekommen.“ Ab März 1947 zählte folglich auch dieses Kino zu den Wiener KIBA-Kinos. Die Übernahme durch die Gemeinde Wien war in diesem Falle, da es sich um bereits illegale Nationalsozialist:innen handelte, die bis 1950 mit einem Arbeitsverbot belegt waren, leichter als in anderen Fällen. Dennoch scheint zumindest Paul Grifaton letzten Endes wieder in den Betrieb eingestiegen zu sein. Thomas Jelinek weist in Die Wiener Kinos, Band 2 (2022) aus, dass Grifaton bereits ab 1948 hier wieder als Geschäftsführer gewesen sei, nachdem dieser eine Klage gegen die Entscheidung des öffentlichen Verwalters eingebracht hatte. Wann Marie Grifaton starb, ist unklar, ihr Mann Paul überlebte sie jedoch mit einiger Sicherheit und starb vermutlich um 1968. In diesem Jahr übernahmen Ingeborg und Anton Langhammer den Betrieb, wobei Ingeborg auch die Geschäftsführung inne hatte. Maria Patak behielt die von ihr mit gegründete Schlößl Lichtspiele Grifaton & Patak OHG hingegen und eröffnete mit ihrer Gesellschaft am 15. August 1968 das umgebaute Hubertus Kino in der Quellenstraße 63-65, 1100 Wien. 1972 übergab Anton Langhammer seinerseits das Schlößl-Kino an die Constantin-Gruppe, ehe es zuletzt von der Commerz-Filmgesellschaft von Regisseur und Produzent Herbert Heidmann und Geschäftsführer Josef Hofmann übernommen wurde. Obwohl das Schlößl-Kino die erste und zweite Welle des Kinosterbens überstand, war es ab der Jahrtausendwende nicht mehr zu retten. Im April 2003 wurde das Kino, das zuletzt wie viele andere Wiener Bezirkskinos auch als "Pornokino" genutzt wurde, geschlossen. Ab Herbst 2004 sollte der Ort als neues Kulturzentrum bespielt werden. Das Konzept dazu stammte u. a. von Adrian Garcia-Landa, der damals u. a. an der Filmakademie tätig war. Angedacht war, das Kino fünfmal pro Woche zu bespielen, u. a. mit Filmprogrammen, aber auch mit Musik und Theater. Es sollte einen Improvisationstheaterbereich geben, an Samstagen wollte man Programme mit Peter Kern u. a. bringen; es sollte Sonntagsmatineen sowie Programme für Kinder geben. Das Konzept zur Neubespielung des Kinos aus dem Jahr 2004 sah eine gemischte Finanzierung aus Eigenmitteln und öffentlichen Subventionen vor. Der Umbau des neuen "Licht-Spiel-Theaters" wurde im Rahmen des Projektes Service Civil International durch eine Gruppe internationaler Student:innen, die in einer benachbarten Pfarre untergebracht waren, realisiert. Im Oktober 2004 wurde der neue Kulturort eröffnet - doch nur wenige Wochen nach der Eröffnung wurde die neue Spielstätte aufgrund anhaltender Anrainerbeschwerden bereits wieder geschlossen und konnte keine Bewilligung für eine Neueröffnung erlangen. Nach mehreren Jahren Leerstand beherbergte das ehemalige Kino einige Zeit lang u. a. eine Fotoschule, eine Schauspielschule und zuletzt bis 2015/2016 das FotoQuartier des Weiterbildungsinstituts Wien Service GmbH. * Thomas Jelinek und Florian Pauer geben fälschlicherweise in ihrem Buch Die Wiener Kinos (Bd. 2, 2022) an, dass Marie Grifaton das Kino bis 1945 und darüber hinaus leitete, was den behördlichen Dokumenten nach nicht stimmt. Grifaton starb mit einiger Sicherheit bereits vor Kriegsende, spätestens jedoch in den Jahren darauf, Grifaton nach Jelinek/Pauer 2022 im Jahr 1964. Wann Maria Patak starb und inwieweit sie bis zum Verkauf des Kinos noch Teil der OHG war, geht auch aus den erhaltenen Nachkriegsakten des Wiener Stadt- und Landesarchivs nicht hervor. Quellen und Links Wiener Stadt- und Landesarchiv, WStLA, M.Abt. 104, A11: 5. Schlößl-Ton-Kino Wiener Stadt- und Landesarchiv, WStLA, Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, A1 – Kinoakten: 108 Schlössl-Tonkino Wiener Stadt- und Landesarchiv, WStLA, M.Abt. 119, A27 - ÖV - Kino: K83 Schlössl-Kino www.geschichtewiki.wien.gv.at/Schl%C3%B6sslkino |