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Am 27. Oktober 1910 erhielt der neue Lizenzinhaber für den Standort des ehemaligen Grand Bioskop in der Wallgasse 39, Otto Marschall, die Bewilligung zum Bau eines neuen Wohnhauses mit angeschlossenem Kinobetrieb. 1911 wurden hier im noch „im Bau begriffenen“ Gebäude die Kammerlichtspiele Westend gegründet, in deren für einen Neubau dieser Jahre verhältnismäßig schmalem Saal 258 Personen Platz fanden.
In der Aufnahmeschrift von 22. März jenes Jahres hieß es u. a., dass sich das neu geplante Kino „im Parterre des Traktes Mariahilfergürtel“ befand und über einen Kinosaal von zirka 23 Meter Länge und sieben Meter Breite verfügte. Der zeittypische Schlauchsaal hatte „4 Fenster samt 4 direkten Ausgängen gegen den Mariahilfergürtel und 3 Fenster sowie einen durch den Hof, Stiegenhaus und Einfahrt gegen die Wallgasse führenden Notausgang“. Als Projektionsraum diente die Feuermauer, durch den Einbau von Trennwänden und Zwischendecken wurden ein Apparatenraum und Warteraum ermöglicht. Als Architekt wurde der Wiener Stadtbaumeister Erwin Raimann (12., Schönbrunner Straße 142) beauftragt.
Doch bereits 1914 zog Marschall weiter in den fünften Bezirk, nachdem sich nach dem unerwarteten Tod des Kinobetreibers Karl Holzdorfer die attraktive Möglichkeit eröffnete, dessen Holzdorfer Kino in der Reinprechtsdorfer Straße 33 zu erwerben, das sich ebenfalls in einem eigenen Neubau befand. Marschall kaufte das Margaretener Kino von Holzdorfers Sohn, Karl Holzdorfer jun., und verkaufte seinerseits zeitgleich sein Wohnhaus mit Kino.
Als neuen Eigentümer von 1914 nennen Thomas Jelinek und Florian Pauer in Die Wiener Kinos (Bd. 2, 2022, S. 109) Jakob Grünfeld. 1914–1915 übernahm Alexander Zechmeister die Lizenz.
Im Sommer 1916 ließ der neue Kinobetreiber vier neue Logen einbauen, sodass der Fassungsraum von damals 249 auf 244 Personen reduziert wurde. Bereits 1917 übergab Zechmeister seine Lizenz an Stefan Kostial (3., Kolonitzplatz 3). 1920 folgte die nächste Weitergabe: Kostial verzichtete auf eine weitere Lizenz für den Standort des Westend Kinos zugunsten von Johann „Hans“ Raffelsberger (6., Windmühlgasse 28). Dieser bat seinerseits im Juli 1920 um eine Erhöhung der Sitzplatzzahlen durch die Aufstellung von neun weiteren Klappsesseln am Ende des Schlauchkinos und durch Auflassung eines schmalen Ganges am hinteren Ende des Saales.
Ab 1921 hieß die wiederum neue Lizenzinhaberin Maria Burkhard (4., Wiedner Gürtel 60). Burkhard hielt sich weitere drei Jahre im Betrieb, ehe mit Hermann Struck (13., Katznergasse 32) 1924 ein wieder neuer Lizenzinhaber gefunden wurde. Als Geschäftsführer des Kinos war in dieser Zeit August Homolka tätig.
Im Februar 1925 reichte Helene Versbach (14., Odoakergasse 2; ab Mai: 16., Roseggergasse 2) um die Lizenzverleihung ein, doch blieb wohl weiterhin Struck selbst Inhaber derselben, bis im Mai dieses Jahres klar wurde, dass Struck das Kino aufgrund seiner hohen Verschuldung nicht mehr weiter halten könnte. Mit 20. Mai 1925 wurde „Fräulein Helene Versbach“ neue Lizenzinhaberin; neuer Geschäftsführer des Betriebs wurde zeitgleich Karl Birnbaum.
Noch im selben Sommer kam es zu einer neuerlichen Adaptierung des Kinos, die vom Wiener Stadtbaumeister Friedrich Wohlmeyer (6., Stumpergasse 57) bereut wurde.
Als neuer Eigentümer des Kinos findet sich in den amtlichen Unterlagen jenes Jahres Arthur Neurath. Im Juni 1926 wurde Versbachs Lizenz verlängert.
Doch bereits im Oktober 1926 kam es zu einer entscheidenden neuerlichen Veränderung: Neue Lizenzinhaberin des Kinos sollte nun die Organisation der Wiener Presse (1., Elisabethstraße 9) werden, vertreten durch deren Vorsitzenden Marcell Zappler und Schatzmeister Max Forst. Die neue Inhaberin der seit 1926 „Konzession“ genannten bisherigen Lizenz für diesen Standort setzte per 1. Oktober 1926 Alois Bartholdschütz als verantwortlichen Geschäftsführer ein. Der Kinobetrieb ging damit, so ein Gedächtnisprotokoll von 1. Oktober 1926, „mit allen Kosten zu Lasten des Herrn Bartholdschütz“, wobei dieser dem Verein als Lizenz-Inhaberin „vom 1. Bis 31. Oktober 1925“ fünf Prozent seiner Bruttoeinnahmen abführen musste. Danach sollte das „provisorische“ Übereinkommen neu verhandelt werden.
Im November 1926 reichten Versbach als bisherige Lizenz-Eignerin wie auch Bartholdschütz um die Konzession ein, wurden jedoch beide mit der Begründung abgewiesen , dass von nun an die Organisation Wiener Presse die Konzession innehätte. Beide reichten Berufung ein. Versbach argumentierte damit, dass man ihr die Lizenz einst wegen „ihrer Verdienste im Kriege“ übergeben hatte – „sie war rote Kreuzschwester [!] und ist seither leidend“. Bartholdschütz wiederum war zu diesem Zeitpunkt wohl bereits Eigentümer der Immobilie bzw. des Kinos wie auch Geschäftsführer. Er argumentierte seinen Einspruch damit, dass er „abgebauter Beamter der Anglo-Austrian-Bank sei und mit zwei seiner Kollegen zur Gründung einer neuen Existenz das Kino erworben habe“ wie auch, dass die von der Organisation Wiener Presse verlangten fünf Prozent Bruttoabgaben eine „zu hohe Belastung“ für den schlecht gehenden Betrieb seien.
Versbach wies wiederum darauf hin, dass sich in Währing ein „Kanditengeschäft“ mit ihrer Schwester führe, für das sie aus den geplanten Eingängen des Kinobetriebs bereits Waren gekauft habe, „die sie nun nicht zahlen könne“.
Versbach argumentierte ausführlich, warum ihr an der Weiterführung des Kinos existenziell so sehr gelegen war: „Die Konzession für den Betrieb des Kinos in Wien, VI., Wallgasse 39, wurde der Organisation der Presse verliehen; das heißt, ich wurde ohne jede Befragung entrechtet, brotlos gemacht und dem materiellen und seelischen Elend preisgegeben, bis ich in der Versorgungsanstalt oder im Krankenhaus ende. Eine Organisation, der ganz andere Existenzmöglichkeiten zu Gebote stehen als mir, wurde bevorzugt, ich hingegen entrechtet. Ich verweise auf die Zeitungsartikel in den Tagesblättern, die gegen diese Maßregel Stellung nehmen. Eine Begründung ist in dem angefochtenen Bescheide überhaupt nicht enthalten. Ich muss daher annehmen, dass ich deshalb entrechtet wurde, weil ich angeblich ,arbeitsloses Einkommen‘ bezog aus dem Kinobetrieb. Ich habe dem Staate meine Gesundheit geopfert, als ich viele Jahre lang gegen gering Entgelte Dienste als Krankenpflegerin leistete.
Ich habe mit meiner Schwester zusammen ein Kanditengeschäft in Wien XVIII., Kreuzgasse 80, doch wird dieses in Konkurs gehen, da wir in der Anhoffnung der Einnahmen aus dem Kino Warenanschaffungen gemacht haben, die wir nun nicht bezahlen können.
Ich habe mich um ein Kino beworben zu dem Zwecke, um meine Erfahrungen auf dem Gebiete der Erziehung künstlerischen Empfindens usw. zu verwerten. Ich wollte verhindern, dass das Publikum mit Schundfilmen geistig schlecht gefüttert werde. Leider fehlten mit Kapitalien, und so fiel ich Geldgebern in die Hände. Immerhin sicherte mir die Kinolizenz eine bescheidene Existenzmöglichkeit. Wenn nun die Behörde, die für das Wohl der Bewohner verantwortlich ist, mich an den Bettelstab bringt als Belohnung für meine Krankenpflegerdienste, bei denen ich Leben und Gesundheit für das Allgemeinwohl opferte, so ist das alles eher als sozial gedacht und gehandelt. Eine mächtige, wohlsituierte Organisation der Presse wird gefüttert mit dem Blute der Wehrlosen. Dies im Zeitalter der sozialen Fürsorge. Ich bin jederzeit bereit, am Kinobetriebe selbst mitzuarbeiten und es entfällt somit sie angenommene Begründung der Entziehung: das arbeitslose Einkommen.
Ich bin aber zufrieden, wenn schon nicht ich, sondern das von mir vorgeschlagene Institut, Kinderheim Eden in Wien XIII., Knödlhütte, die Kinolizenz erhält. Sollte auch dies absolut undurchführbar sein, so bitte ich die Behörde zu veranlassen, dass mir meine bisherige Befugnis nicht so aberkannt wird, als hätte ich ein schweres Verbrechen begangen.
Es liegt gegen mich nicht das Geringste vor und habe ich min Leben lang nur Gutes gewollt. Ich verdiene daher keine solche Schablonenbehandlung, sondern eine Rücksichtnahme, wie sie einer ordentlichen Behörde zukommt. Die Behörden sind nicht dazu da, um Unrecht zuzufügen und die Wegnahme der bisherigen Kinolizenz stellt sich mir gegenüber als Unrecht und Willkür dar, so viel ich die Sache beurteilen kann. Ich habe auch ein Gesuch gemacht mit der Bitte, mir die Kinokonzession für das ehemalige Ronachertheater zu erteilen, leider ebenfalls bisher ohne Erfolg. Wenn die Presseorganisation die Kinokonzession nicht erhält, die ich bisher hatte, so erleidet sie keinen Schaden, ich aber bin zugrunde gerichtet. Der Pächter wird mir nichts mehr zahlen, ich bin brotlos. Die Gemeinde Wien wird sich meiner Lage annehmen, mich nicht erwerblos machen und meiner Berufung Folge geben.
Ich bekam die Lizenz seinerzeit in Anerkenntnis meiner dem Allgemeinwohle im Dienste der Krankenpflege geleisteten Arbeit und diese aufreibende Tätigkeit hat meine Erwerbsfähigkeit bleibend gemindert. […]“

Doch alle Bemühungen der Unternehmerin blieben erfolglos: Die Lizenz für das Westend Kino ging noch in diesem Jahr auf Bartholdschütz über.
Bereits am 20. August 1926 hatte ihrerseits die damalige Eigentümerin des Kinos, die Firma Maurer & Klein, vertreten durch „A. & S. Klein“, den Betrieb für 40.000 Schilling an drei neue Eigentümer: Robert Scheer und Alois Bartholdschütz zu je 3/8 Anteilen und Gustav Wachutka zu 2/8 Anteile (sowie die Geschäftsführung im Tagesbetrieb) verkauft, wobei im Kaufvertrag darauf hingewiesen wurde, dass man, bei genügend hohen Einnahmen, auf die Erhöhung seines Anteils bemüht wäre, sodass schließlich alle drei Eigentümer ein Drittel des Betriebs besitzen sollten (zu dieser Erhöhung sollte es letztlich nicht kommen). Interessant ist der Kaufvertrag auch insofern, als schriftlich festgehalten wurde, dass im Falle des Ablebens eines der drei Gesellschaft jeweils dessen „überlebende Gattin persönlich (unter Ausschluss einer Bevollmächtigten)“ in die Vereinbarung aufgenommen werden sollte. Ebenfalls scheint zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar gewesen zu sein, ob der „Hausherr“ der Immobilie gegen diesen Schritt Einspruch erheben könnte (was, soweit es die erhaltenen Unterlagen erlauben, nicht der Fall gewesen zu sein scheint). Zur Absicherung seiner Interessen vereinbarte Bartholdschütz zudem mit Versbach, diese weiterhin mit 100 bis 250 Schilling an den Einnahmen zu beteiligen – mit der Auflage, dass diese sich nicht mehr um die Konzession bemühe.

Alois Bartholdschütz wurde am 27. Dezember 1896 im Wiener Schottenfeld geboren, besuchte die Volksschule und danach die Bürgerschule und die Handelsschule und war von 1910 bis 1916 als Handelsangestellter tätig. 1916 trat er in den Kriegsdienst ein und blieb bis 1918 aktiver Soldat. Von 1920 bis 1926 arbeitete er als Beamter der Anglo-Austrian Bank in Wien, ehe er im September 1926 Teilhaber sowie alleiniger Konzessionär des Westend Kinos wurde. Am 7. Juni 1925 heiratete er die 1894 in Wien-Alsergrund geborene Maria Hermine Katharina Spicka. In den Unterlagen des Wiener Magistrats ist es auch durchgehend Bartholdschütz, der in den Anweisungen, Revisionen und sonstigen Anschreiben genannt wird.
Bartholdschütz und Wachutka kannten einander wiederum aus der gemeinsamen Arbeitszeit bei der Anglo-Austrian Bank, für die auch Wachutka von 1919 bis 1926 tätig gewesen war, ehe die Bank beide im Zuge des Verkaufs großer Teile der Aktion an die Creditanstalt „abbaute“.
Gustav Johann Rudolf Wachutka war am 30. Mai 1899 in Wien Rudolfsheim geboren worden. Auch er hatte fünf Klassen Volksschule und drei Klassen Bürgerschule besucht, ehe er vier Jahre lang an der Wiener Handelsakademie absolvierte. Ab 10. März 1917 war auch Wachutka im Kriegsdienst, davon zehn Monate an der Front, ehe er diesen am 15. November 1918 beendete und von März bis November 1919 als Beamter bei der „Militär-Pensionsliquidatur“ tätig war. Seine Tätigkeit bei der Anglo-Austrian Bank begann im Dezember 1919 und endete am 30. Juni 1926, ehe auch er ab September desselben Jahres Miteigentümer und Geschäftsführer des Westend Kinos wurde. 1922 heiratete Gustav Wachutka Anna Müllner.
Mit Robert Scheer trat schließlich als dritter Teilhaber ein Jude in den Betrieb ein.

1928 ließen die drei neuen Kino-Eigentümer den Saal von Architekt W. Völkel (5.) modernisieren und die Platzzahl auf 238 Sitze reduzieren. Im Frühjahr 1931 wurde, relativ spät, eine Tonfilmanlage – System „Philipp“ mit „Bauer-Lichtton-Adapter“ – eingebaut und das Westend Ton-Kino mit Carl Boeses Drei Tage Mittelarrest (D 1930) am 19. April 1931 wiedereröffnet. Für den optimalen Ton sorgten die elektrischen Grammophonlaufwerke der international tätigen Firma Lando & Co. (Wiener Betriebsstätte: 1., Jasomirgottstraße 3). Im Jahr 1934 wurde der Saal wieder erweitert und fasste nun 268 Personen.

„Arisierung“ und NS-Jahre
1938 musste Robert Scheer aufgrund seiner jüdischen Herkunft emigrieren und floh nach Buenos Aires, wo er auch nach Kriegsende noch lebte. Im November reichte Anton Haslinger um den Kauf des „jüdischen Anteils“ des Kinos bei der NS-Filmtreuhandgesellschaft ein. Die tatsächliche Übernahme konnte jedoch durch die drei bisherigen Eigentümer verhindert werden: Scheers in Wien mit einem „Arier“ verheiratete Schwester Margit Scheer „verkaufte“ dessen Anteile per 3. Jänner 1939 an die beiden anderen Gesellschafter, jedoch mit der Vereinbarung, dass „ihm [Scheer] bei einem eventuellen Abzug der Hitlerregierung seine 3/8-Anteile sofort wieder zurückgegeben werden sollen“, wie Gustav Wachutka am 1. März 1948 an die Wiener öffentliche Kino-Verwaltung schrieb.
Der Kaufpreis der am 3. Jänner 1939 abgeschlossenen Vereinbarung betrug 2.000 RM zuzüglich einer Auflage von 3.177 RM, die man an den „Reichsfiskus“ zu erlegen hatte. Im Gedächtnisprotokoll vom 7. Jänner 1939 wurde zudem festgehalten, dass von nun an Bartholdschütz 9/16 des Kinos und Wachutka 7/16 halten sollte.
Am 22. April 1939 legten Bartholdschütz und Wachutka ihren gemeinsam gezeichneten Antrag auf Aufnahme in die Reichsfilmkammer vor.
Im November 1939 wurde das Kino in Westend-Lichtspiele umbenannt.

Am 15. Mai 1940 wurde zwischen der in London lebenden jüdischen Eigentümerin der Immobilien, Therese Winter, vertreten durch deren jüdischen Anwalt Dr. Oskar Feigl (1., Biberstraße 22) und den nunmehrigen beiden Kinobesitzern ein Mietvertrag abgeschlossen, demnach der jährlich Mietzins für die Kinoräume mit 2.000 RM festgehalten wurde. „Außerdem haben die Mieter die Betriebskosten, die öffentlichen Abgaben und das Reinigungsgeld zu bezahlen, und zwar vierteljährlich im Vorhinein und zur ungeteilten Hand“, hieß es darin weiter – mit dem zusätzlichen Verweis, dass der jährliche Mietzins „im Mai 1914 10.000 K[ronen]“ hatte.

Scheers Partner Alois Bartholdschütz wurde kurz nach dem „Anschluss“ „Parteianwärter“ der NSDAP und bis Kriegsende Inhaber der Spielbewilligung.
Oskar Feigl wurde 1941 nach Lodz deportiert und am 8. April 1942 von den Nationalsozialisten ermordet.

Nachkriegszeit
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der dritte Partner, Gustav Wachutka, vom Bund der österreichischen Lichtspieltheater ab 26. Juni 1945 als provisorischer Leiter für die nunmehrigen 6/8-Anteile des Kinos seines Miteigentümers eingesetzt, da zu diesem Zeitpunkt weder geklärt war, ob bzw. wo Scheer überlebt hatte und inwieweit Bartholdschütz als NSDAP-Anwärter das Kino weiterbetreiben durfte. Bartholdschütz gelang es, „dennoch, mit Zustimmung beider Partner, zumindest ab 1946 eine monatliche Zuweisung von 500 Schilling zu erhalten, da er, nach Kriegsdienst und Gefangenschaft nach Wien zurückkommend, einkommenslos und sein Vermögen während der Verwaltung gesperrt war“, hält Thomas Jelinek in Die Wiener Kinos (Bd. 2, 2022, S. 111) fest. Bartholdschütz hatte seinen Antrag dazu an die amerikanische Militärbehörde am 4. September 1946 gestellt, wobei sich die von nun an erfolgenden monatlichen Zahlungen nicht aus den neuen Einnahmen ergaben, sondern aus dem gesperrten Vermögen des ehemaligen Mitbetreibers.)
Am 19. September 1945 folgte Dr. Alfred Migsch als öffentlicher Verwalter. Er trat seine Aufgabe, hieß es in einem Dokument von 26. April 1948, „de facto“ aber nie an – zum einen, da Wachutka im Betrieb bleiben konnte, zum anderen, da Scheer durch die US-Property Control wie auch seinen Schwager Karl Benesch vertreten wurde. Migsch selbst legte am 10. Februar 1948 in einem Schreiben an die Magistratsabteilung 69 dar, dass es 1945 zu einem „Einspruch des Herrn Mayor Nixon von der amerikanischen Besatzungsmacht“ gekommen war, sodass er seine Verwaltungstätigkeit „nie angetreten“ habe. Das Vermögen von Bartholdschütz wurde ab diesem Zeitpunkt aufgrund seiner NS-Vergangenheit gesperrt.

Wachutka (und wohl auch Bartholdschütz) übergaben tatsächlich, wie 1938 zwischen den drei Teilhabern vereinbart, bereits am 1. Juni 1945 die betreffenden Anteile an den überlebenden Co-Eigentümer von 1938, Scheer, zurück. Thomas Jelinek beschreibt in Die Wiener Kinos die damalige Situation folgendermaßen: „Als Robert Scheers Vater, der nach England emigriert war, im Mai 1945 nach Wien zurückkam, nahm man das zum Anlass, in der Eröffnungsbilanz des Kinos vom 1.6.1945 die Anteile von Scheer aliquot zu 1938 wieder festzusetzen. Scheers Vater, der in einem jüdischen Seniorenheim in der Seegasse untergebracht war, erhielt vom Westend-Kino ab Herbst 1946 monatlich Zuweisungen von 250 Schilling. In einem Brief betonte Scheer sine amikal Beziehung zum antifaschistischen Gustav Wachutka, während im anderer Partner Alois Bartholdschütz als überzeugter Nationalsozialist stets suspekt gewesen sei.“ (Bd. 2, 2022, S. 110 f.)
Scheer selbst formulierte seine Bedenken Bartholdschütz gegenüber in einem Brief an die amerikanische Militärbehörde so: „Was meinen zweiten Sozius, Herrn Alois Bartholdschütz, betrifft, so war er mir als strammer Nazi und Hitlerbewunderer bekannt. Ich lege den größten Wert darauf, dass sein Anteil auch weiterhin gesperrt bleibt, da ich an ihn erhebliche Forderungen zu stellen habe.“ (Brief v. 5.8.1946, zit. in: Die Wiener Kinos 2022, S. 180, FN 35)

Am 5. Juni 1946 legte der Wiener Anwalt Otto Ernst Lichtenstern, der zeitgleich auch mit den Belangen des Johann Strauss Kinos in der Favoritenstraße 12 betraut war, der amerikanischen Militärbehörde seinen Bericht über die Lage des Westend Kinos vor, in dem er auch auf Scheers Wiedereintritt in den Betriebs, vertreten durch dessen Vater, sowie die Wiedereröffnung am 25. Mai 1945 und die darauffolgenden schwierigen Monate des Wiederaufbaus (u. a. mussten die zerstörten Gürtel-seitigen Fenster ausgetauscht und der Foyer-Bereich renoviert werden) einging.

Scheer, der sich weiterhin in Argentinien aufhielt, wurde in Wien auch in den folgenden Monaten durch seinen Schwager Karl Benesch vertreten. Da Scheer nie die argentinische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, teilte die American Property Control jedoch 1947 mit, dass sie Scheers Anteile nicht weiter schützen könnte und Benesch sich um die weiteren Restitutionsschritte vor Ort zu kümmern habe. Letztendlich konnte Scheer zwar seine Anteile wiedererhalten, eine finanzielle Abgeltung der verlorenen NS-Jahre kam jedoch nicht zustande, da im Falle Bartholdschütz die Wiedergutmachungsansprüche „erloschen“ waren und im Falle Wachutkas keine Ansprüche gestellt wurden, so Wachutka selbst am 1. März 1948 in seinem Schreiben Dr. Migsch gegenüber.
Ab 1948 galt Bartholdschütz, wie aus den weiteren Ausführungen Wachutkas im selben Schreiben hervorgeht, aufgrund seiner politischen Zugehörigkeit während der NS-Zeit als nicht mehr am Kino mitbeteiligt. Wachutka erhielt am 16. März die Konzession zur Weiterführung des Betriebs, die mit 31. Jänner 1950 auslief und von da an bis zur Schließung verlängert wurde. Ebenfalls noch 1948 hielt die KIBA, vertreten durch Dr. Julius Primost, in einem Schreiben an die Magistratsabteilung 69 fest, kein Interesse an diesem Betrieb zu haben und somit auch „in keinerlei Verbindung“ mit den bestehenden Betreibern stehe.
Am 16. April 1948 gab Benesch handschriftlich zu Protokoll, dass seinem Schwager dessen 3/8-Anteile bereits wieder zurückgestellt worden waren. „Der Zustand von 13.3.38 ist daher voll wiederhergestellt.“ Am 24. Mai 1948 wurde Dr. Alfred Migsch als öffentlicher Verwalter offiziell abberufen und das Kino den ehemaligen Eigentümern übergeben.

Das Westend Kino hatte zwar Glück gehabt und war bei den Bombenabwürfen gegen Kriegsende nur wenig beschädigt worden. Doch die hohen Kosten, die anfielen, belasteten den kleinen Betrieb massiv. Die Auslastung lag bei nur 43 Prozent, was für einen Kinobetrieb in einem Bezirk innerhalb des Gürtels auffallend wenig war, und das Kino fasste nur 268 Personen, sodass sich die finanzielle Situation bereits lange vor dem Beginn des Wiener Kinosterbens hier besonders zuspitzte. Dennoch investierten die Betreiber 1946 in eine Siemens-Klangbildanlage und 1957 in eine CinemaScope-Anlage mit Breitwand und VistaVision. 1963 verlängerte die nunmehrige Betreiber-Gesellschaft, Wachutka & Co. – nach Scheers Ausstieg hatte Wachutka zuletzt, so Thomas Jelinek (2022) zwei Geschäftspartner –, ein letztes Mal die Kinokonzession bis 1969. Doch nur wenige Monate später endete die Geschichte des Westendkinos nach rund 70-jährigem Bestehen seit der Eröffnung von Génis Grand Bioskop. Die letzte Vorstellung fand am 30. März 1964 statt, man spielte J. L. Thompsons Antikriegsfilm Die Kanonen von Navarone (GB 1961). Kurz nach der Schließung des Kinos zog hier ein Möbelhaus ein. Aktuell befindet sich dort ein Modegeschäft.

Quellen und Links
Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 104, A11: 6. Westendkino
Wiener Stadt- und Landesarchiv, Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, A1 – Kinoakten: 150 Westend-Kino
Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 119, A27 - ÖV - Kino: K109 Westend-Kino
Thomas Jelinek, Florian Pauer: Die Wiener Kinos. Band 2. Wien 2022, S. 110 f.
www.fold3.com/image/311322200

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