| © KinTheTop/Angela Heide zuletzt aktualisiert: 8.12.2023 Zitierweise: www.kinthetop.at/forschung/kinthetop_8_ArkadenKino.html, zuletzt eingesehen [Tag.Monat.Jahr] Standort An der Adresse 23, an der sich später das Kino befand, war ab 1663 ein Haus "für die Findel- und unerzogene Hausarmenkinderwaisen" gestanden, das während der Türkenbelagerung 1683 zerstört wurde. 1788 wurde an dieser Adresse das wesentlich größere „Findelhaus“ durch Kaiser Joseph II. eröff net, der auch die Patenschaft für das erste uneheliche Kind, das hier zur Welt kam, übernahm. Mit den Jahren wuchs der Bedarf derart, dass 1910 das neue „Niederösterreichisches Landeszentral-Kinderheim“ in einem neuen Gebäude in 18. Bezirk, Bastiengasse 36-38, eröff net wurde. Das Haus in der Alser Straße wurde veräußert, der Grund parzelliert: Auf dem historischen Areal des alten Findelhauses stehen heute die Häuser Alser Sraße 21 und 23 sowie Lange Gasse 61-68. Gründung und frühe Jahre Das Arkaden Kino, später Arkaden Lichtspiele, wurde 1911 von Marie Heimrath gegründet. 1914 bis 1920 lag die Lizenz beim Wiener Cafetier August Reichert. Das Kino, das sich in einem schmalen Saal befand, hatte vorerst Platz für 320 Personen; Reichert ließ 1918 Logen einbauen, um die Qualität zu verbessern, sodass sich die Kapazität auf ca. 300 Plätze reduzierte. 1920 übernahm der Privatier Otto Sattel das Kino, das er bis zu seinem Tod 1923 führte. Sattel war unter anderem langjähriges Mitglied des Wiener Jockeyclubs gewesen, ehe er erfolgreich in die Filmbranche wechselte und bald schon zum Vorstand des Bundes der österreichischen Lichtspieltheater zählte. In einem Nachruf im Filmboten von 24. November 1923 hieß es über den kurzzeitigen Miteigentümer der Luna-Gesellschaft: „Der Besitzer des Arkaden Kinos, Herr Otto Sattel, der zu den sympathischsten Persönlichkeiten unserer Branche gehörte, ist Donnerstag nachts einem Herzleiden erlegen. Ein durchaus vornehmer und nobler Charakter, stets liebenswürdig, opferwillig und zu jeder Gefälligkeit bereit, erfreute er sich in den weitesten Kreisen mit Recht der größten Beliebtheit und Wertschätzung.“ (S. 15) Seinem Begräbnis auf dem Wiener Zentralfriedhof wohnten zahlreiche Kollegen bei, und selbst das Das neue Wiener Tagblatt berichtete in seiner Tagesausgabe von 29. November 1923 von der Abschiedsfeier des Kinoleiters: "Der langjährige Sekretär des Jockeiclubs [!] Otto Sattel, der später ein führendes Mitglied der Wiener Kinobranche war, ist in der Vorwoche nach langem Leiden gestorben und wurde Sonntag auf dem Zentralfriedhof beigesetzt. Die Teilnahme am Leichenbegängnis war außerordentlich groß. Vertreter des Jockeiclubs, der Filmklubs und anderer Vereine hielten Grabreden und rühmten die Pflichttreue und den lauteren Charakter des Verstorbenen. Die große Freundesschar Otto Sattels, des edlen, stets hilfsbereiten Menschen, der Unzähligen Wohltaten erwiesen und niemals die Bitte eines Bedürftigen unerfüllt gelassen hatte, wird ihm ein dauerndes, treues Gedenken sein." (S. 9) In der Erbfolge übernahm seine Witwe, Olga Sattel, geb. Pick, die Lizenz noch zu Jahresende 1923. Olga Sattel wurde am 7. Dezember 1878 in Wien als Tochter von Ignaz Pick und dessen Frau Emilie, geb. Spitzer, geboren und war dort auch in das Geburtsbuch der IKG eingetragen. 1911 heiratete sie „laut Eintragung im Trauungsbuch des israelitischen Kultusgemeinde Wien“ Otto Sattel. Als dieser 1923 starb, blieb Sattel als Witwe wohnhaft Wien und führte hier das Kino im 15. Bezirk. Von 1916 bis 1920 hatte sie zudem das „Maxim Bio“ im zweiten Bezirk geführt. Im Jahr 1930 führt Olga Sattel in ihrem Kino den Tonfilm ein. „Arisierung“ Das Arkaden Kino befand sich bis 1938 im Besitz von Olga Sattel. 1938 wurde es von Franz Pfister Jahrgang 1895, „arisiert“. Wie aus einem Schreiben der Vermögensverkehrsstelle von 14. Dezember 1938 an Pfister hervorgeht, in dem diesem in Erledigung seines Ansuchens das Kino „zum Ankauf zugewiesen“ wurde, lag in diesem Falle die „Entjudung“ des „Filmtheaters“ vor. Pfister, seit 1922 bereits mit der Nummer 11.288 illegales Mitglied der NSDAP, war seinerseits im Zuge des politischen Ereignisse des Jahres 1934 „enteignet“ worden und hatte seinen Betrieb, „Purgstaller Holzwarenindustrie“ verloren. Die Zuweisung des Kinos galt in seinem Falle in der NS-Diktion der Zeit als „Wiedergutmachung“ bzw. „Sozial-Aktion“ in Anerkennung an seine Tätigkeiten in den Jahren der Illegalität. Pfister war, wie aus einem Schreiben des ehemaligen Vizebürgermeisters von St. Pölten Viktor Müllner von 21. Mai 1945 hervorgeht, zudem Bezirksleiter der NSDAP und hatte wesentlichen Anteil daran, dass Müllner für 4,5 Jahre in das Konzentrationslager Dachau verbracht worden war, wo dieser 1942 wieder entlassen wurde. Am 5. Juni 1942 wurde Olga Sattel in das Ghetto Izbica in Polen deportiert. Sie „ist nicht mehr zurückgekommen und wurde die Todeserklärung vom Landesgericht Wien ausgesprochen“, hielt ihr Sohn Harry in einem Schreiben seines Anwaltes Dr. Ludwig Margreiter fest. Harry Sattel, der den Krieg in der Emigration überlebt hatte, befand sich 1946 „im Verbande der Streitkräfte der U.S.A. in Frankfurt“, wo die Todeserklärung seiner Mutter auf seinen Antrag hin erst offiziell ausgesprochen wurde. Nachkriegszeit und Restitutionsverfahren Das Kino wurde am 10. September 1944 leicht beschädigt und konnte so relativ rasch nach Kriegsende wiedereröffnet werden. Viktor Müllner beantragte mit der obigen Begründung 1945 die Übergabe der kommissarischen Leitung an seine Person, was auch vorerst vom damaligen Kulturstadtrat Viktor Matejka und dem Referenten des Referates Film, Leobold Eichberger, im August 1945 vorerst bewilligt wurde. Von der amerikanischen Besatzungsbehörde, konkret: der Property Control Sub-Section wurde hingegen kurz darauf Maria Ullmann als neue Verwalterin eingesetzt, die diese Funktion bis 1947 innehatte. Ullmann war nach eigenen Ausführungen in Vertretung der Eigentümer vor 1938 eingesetzt worden: Bis 1938 war das Kino im Eigentum von Olga Sattel gewesen. Diese hatte das Kino 1938 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verloren und musste es an den „Ariseur“ des Kinos, Franz Pfister, auf Anweisung der Vermögensverkehrsstelle übergeben. „Pfister ließ die Firmen lt. beiliegendem Handelsregisterauszug im Jahre 1941 protokollieren und war bis zum Kriegsende Besitzer der Firma. Am 25. Mai 1945 wurden die Arkaden-Lichtspiele unter öffentliche Verwaltung gestellt und hat der Sohn und Erbe der Frau Olga Sattel, Herr Harry H. Sattel, welcher amerikanischer Staatsbürger ist, die Wiedergutmachungsansprüche geltend gemacht.“ Im Oktober 1947 suchte Sattel darum an, Ullmann abzuberufen und ihn selbst als alleinigem Erben seiner durch das NS-Regime ermordeten Mutter zum neuen Verwalter zu machen. Sattel blieb noch bis Ende 1947 in Wien, ging jedoch dann zurück in die USA und bestellte seinerseits Karl Riha zum Geschäftsführer des Kinos. Daraufhin wurde vonseiten der Bundesverwaltung die Auszahlung seiner Beträge als Verwalter gestoppt und empfohlen, Riha als neuen Verwalter einzusetzen. Im Dezember 1948 wurde dem Antrag Sattels um Rückstellung des Kinos auf ihn als alleinigem Erben zur Gänze stattgegeben. Aus einem Aktenvermerk von 16. August 1951 geht hervor, dass sich Sattel zu diesem Zeitpunkt noch in den USA befand, um „dort seine privaten Angelegenheiten [zu] regeln“, um danach nach Wien zu kommen. Pfister war nach der Befreiung im Lager Glasenbach bei Salzburg angehalten worden und wurde danach dem Landesgericht Wien überstellt, wo er 1947 noch in Haft gesessen haben muss. Seine Wohnung wurde neuen Mietern übergeben. Im Oktober 1947 wurde er aus der Haft entlassen und ging „zur Erholung“ nach Oberösterreich, wie aus einem Aktenvermerk v. 28.10.1947 hervorgeht. Bereits 1946 beantragte Pfisters Frau Anna die Auszahlung eines Unterhaltes für sie, ihren Mann und das gemeinsame Kind aus den Erträgen des von ihrem Mann einst „arisierten“ Kinos. In einem Schreiben Harry Sattels von 27. Juni 1948 sprach dieser davon, dass diese „Tatsache“ ihm ebenso „phantastisch“ wie „unglaubwürdig“ erschiene angesichts der Tatsache, dass das Kino von Pfister arisiert und seine Mutter von den Nationalsozialisten ermordet worden war. Sattels Einspruch wurde jedoch nicht stattgegeben, er wurde zu Unterhaltszahlungen verpflichtet, woraufhin Sattel wiederum Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof einlegte und Pfister seinerseits auf Exekution der bisher „ihm zustehenden“ Gelder pochte. QUELLEN Archivquellen Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 119, A 27/1 – K 1-K13, K4: Arkaden Kino Literatur Klaus Christian Vögl: Angeschlossen und gleichgeschaltet. Kino in Österreich 1938-1945. Wien et al.: Böhlau 2018, S. 339, S. 401 u. a. < zurück |