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Im Jahr 1904–1905 erbauten die beiden Architekten Oskar Neumann und Arthur Baron ein Haus in der Margaretenstraße 24, Ecke Schikanedergasse 2.
Neumann und Baron hatte sich während des Studiums an der Technischen Hochschule Wien kennengelernt, wo beide u. a. Kurse bei Karl König absolvierten und 1902 gemeinsam den ersten Platz beim Wettbewerb für den Bau des Sparkassengebäude in Friedeck (Frydek-Mistek) gewannen. Der Neubau in der Margaretenstraße war ihr erstes selbstständige Planungsvorhaben, parallel dazu konzipierten sie auch das nebenliegende neue Miethaus mit angeschlossenem Hotel („Hotel Schweiger“) in der Schikanedergasse 4 und, noch im selben Jahr, die Villa in der Stadlergasse 13 (1130 Wien), ehe sich die Wege der beiden Architekten trennten. Neumann plante in der Folge weitere Villen und Wohnhäuser; Baron fokussierte seinerseits vor allem auf Miethäuser, Geschäftslokale und moderne Portalbereiche, im Falle des Residenzpalastes (Orendihof) stattete er den durch seine Stahlbetonkonstruktion beeindruckende Neubau, zusätzlich mit Kino und Theater aus.
Wann das „Schikaneder Kino“ in den Neubau an der Margaretenstraße, unweit des ehemaligen Freihauses, in dem einst die Zauberflöte zur Uraufführung gekommen war, die der Gegend so auch den Namen gab (Freihausviertel) und deren Librettist, Emanuel Schikaneder, sich nun auch im Namen des Kinos wiederfand, eröffnet wurde, wurde vielfach und unterschiedlich kolportiert.
Erste erhaltene Unterlagen im Stadt- und Landesarchiv verweisen auf das Jahr 1910, in dem der Einbau eine Kinematographentheaters offiziell genehmigt wurde. Die Eröffnung des neuen Wiedner Kinos fiel in die Wochen nach dem Tod Bürgermeister Karl Luegers, sodass eine der ersten Filmvorführungen die Reportage Das Leichenbegräbnis von Bürgermeister Dr. Lueger noch im März 1910 war.

Gründer und Inhaber des Kinos war im ersten Jahr Karl Rasché, der den jungen Betrieb jedoch bereits im zweiten Jahr seines Bestehens an Adolf Pennerstorfer und Amelie (auch: Amalie) Wellean verkaufte. Im Wiener Adressverzeichnis Lehmann findet sich der Name Amelie Wellean 1908 zum ersten Mal. Ab 1894 war Amelie Wellean mehrere Jahre lang zu Gast in Bad Franzensbad, wo sie teilweise als Private aus Wien, teils auch als Privatiere aus Vendig gelistet wurde. Von 1910 bis 1915 nannte sich die Kino-Prinzipalin „Mme Amélie Wellean“, aber 1916 wieder Amelie Wellean, 1924 wird sie in letztes Mal verzeichnet: als Eigentümerin des Hauses 18., Carl-Ludwig-Straße 54 (1919 Umbenennung in Weimarer Straße 72). 1913 besuchte Wellean Bad Ischl, wo sie im Hotel zum goldenen Kreuz abstieg. Die wohlhabende Eigentümerinnen, die den Betrieb auch leitete, blieb nach Pennerstorfers Weggang alleinige Inhaberin des Kinos bis 1919.
In diesem Jahr übernahm der 1897 in Wien geborene Regisseur Georg Michael Höllering das Schikaneder Kino. Höllerings Vater war der Wiener Theaterdirektor und -kritiker Georg Höllering, sein Bruder Franz Höllering ein bekannter Journalist seiner Zeit und seine Schwester Anna Höllering Schauspielerin und später Film-Editorin. Jedoch bereits 1924 entschied sich der damals 27-jährige Kinomanager für eine Karriere in der Filmbranche und gab den Betrieb nach knapp fünf Jahren ab.
Höllerings Nachfolger war Hugo Klein. Der 1862 im mährischen Kyjov,  Mähren geborene jüdisch-österreichische Kinoleiter lebte mit seiner Frau Anna (* 1863, geb. Duldner) in der Praterstraße 38, im Herzen der „Mazzesinsel“, und pendelte in den folgenden Jahren täglich zwischen Leopoldstadt und Wieden, wo der angesehene Kinoleiter und zeitweise Berufsstandvertreter den Betrieb bis 1938 zu einem gut besuchten Bezirkskino ausbaute. Im August 1930 wurde hier der Tonfilm eingeführt und am 10. Oktober 1930 das nunmehrige „Schikaneder Tonkino“ mit Jeder Frau (USA 1930, Regie: Victor Sjöström) eröffnet.

NS-Zeit: "Arisierung" und Flucht der Eigentümer:innen
Im März 1938 wurde Klein durch den NS-„Kinofachmann“ Alfred Mazal, seit 1933 illegales Mitglied der NSDAP, als „kommissarischem Leiter“ abgesetzt. Vonseiten der Reichsfilmkammer, Außenstelle Wien, wurde das Kino als völlig heruntergekommen, veraltet schmutzig dargestellt, sodass man Kleins Betrieb ohne substanzielle finanzielle Abgeltung „arisierte“: Statt der vereinbarten 8.000 RM erhielt Klein 767,39 RM für das Kino, hält Thomas Jelinek in Die Wiener Kinos (Bd. 2, 2022, S. 27) fest.
Neuer Inhaber des Kinos wurde in der Folge der ebenfalls zuvor bereits illegal agierende „SS-Untersturmführer“ Franz Hansmann, den ein hochrangiger SS-Offizier im Zuge dessen Bewerbung um den Betrieb im Juli 1938 in den höchsten Tönen lobte: „[…] Ich unterstütze dieses Ansuchen auf das Wärmste, denn SS-Untersturmführer Hansmann zählt zu den ältesten SS-Männern Österreichs und zu jenen Parteigenossen, die sich rückhaltlos und ohne jede Rücksicht auf Existenz und Wohlergehen für die Idee des Führers geopfert haben. Er ist immer ein vorbildlicher, mutiger Kämpfer des Führers gewesen und ich kenne nur wenige SS-Kameraden, für die ich so eintreten könnte wie für ihn. Er hat auch im Altreich voll und ganz seinen Mann gestellt, brav und bescheiden gearbeitet, viel dazu gelernt und verdient jede Förderung.“ Jutta Fuchshuber hält in ihrem Kurzüberblick zur „Arisierung“ des Schikaneder Kinos fest: „Hansmann war bereits seit 1927 ,Parteigenosse‘ (Nr. 53.373), war 1931 der SA und SS beigetreten und in Letzterer zum Untersturmführer in der Standarte 89 aufgestiegen. Nach dem Verbot der NSDAP durch den Austrofaschismus im Jahr 1933 war Hausmann, weil er sich weiterhin illegal betätigt hatte, zu 20,5 Monaten Haft verurteilt worden. Seine Monate in Haft machten sich später für ihn bezahlt: Im Jänner 1939 erteilte die VVSt Hansmann die Genehmigung zur ,Arisierung‘ des Schikaneder-Kinos. Hugo und Anna Klein flüchteten während der NS-Zeit aus ihrer Heimatstadt nach Großbritannien […]. Der Aufenthaltsort des ,Ariseurs‘ Hansmann war nach 1945 unbekannt.“

Nachkriegszeit
Da das Schikaneder Kino als eindeutig „arisierter“ Betrieb nachgewiesen werden konnte, wurde es von der russischen Militärregierung beschlagnahmt und in den folgenden Jahren von der Sovexport-Vertriebsgesellschaft bespielt. Erst 1948 wurden die überlebenden einstigen Inhaber:innen des Kinos sowie deren Nachfahren in England ausfindig gemacht, und Hugo Klein konnte noch um die Restitution seines Betriebs ansuchen, den er 1949 zurückbekam. Doch der Plan, sein Kino in Wien wiederzusehen, konnte nicht mehr realisiert werden: Hugo Klein starb drei Monate nach der Rückstellung noch vor Reiseantritt 87-jährig im englischen Exil. Seine Söhne Wilhelm und Oskar kehrten ihrerseits nach Wien zurück und leiteten den Betrieb in den folgenden Jahren gemeinsam, wobei Wilhelm die Lizenz hielt. Kleins dritter Sohn Egon übernahm seinerseits ein weiteres Wiener Kino, das Gloria Kino in Hernals, das er bis zu seinem Tod im Jahr 1963 persönlich leitete.

Das Schikaneder Kino blieb bis 1966 im Besitz der Familie Klein. In diesem Jahr kaufte es Josef Hoffmann, der es bis 1996 besaß und bis 1976 auch persönlich als Geschäftsführer fungierte. Von 1976 bis 1980 führte Bernhard Schlöglhofer-Durst das Tagesgeschäft als Pächter und Programmleiter und etablierte das kleine Eckschlauchkino, dessen Ausgänge in die Schikanedergasse führen, trotz anhaltender Kinokrise als angesehenes Programmkino. 1980 übernahm der Schauspieler und Theaterleiter (1973–1978: Theater im Palais, 1978-1998: Kleine Komödie) Helmut Siderits (1939–2023) den Betrieb als Spielort für seinen Top-Filmverleih für zehn Jahre; 1990 folgte ihm Leo Moser, der im selben Jahr das Movie Kino in der Schönbrunner Straße 12 (1050 Wien) schließen musste, für weitere fünf Jahre. Doch sowohl der Plan, hier ein – frei finanziertes – Programmkino zu etablieren wie ein Mischprogramm mit „Kassenschlagern“ und Arthouse-Filmen gleichermaßen anzubieten, scheiterte spätestens Mitte der 1990er-Jahre, während denen die Besucher:innenzahlen massiv zurückgingen.
1995 war klar, dass man das Kino nicht mehr weiterführen konnte, und im Jahr darauf entschieden sich Josef Hoffmann und seine Frau, den Betrieb, der immer noch in Besitz des Ehepaars stand, nicht mehr nur zu verpachten, sondern gänzlich zu verkaufen. Im Februar 1996 kauften Johannes Wegenstein und Stefan Stiglbauer das Schikaneder Kino und führten es von 1998 an gemeinsam mit dem daran angeschlossenen Lokal unter dem Motto „Kino . Bühne . Café“ weiter, das sich seither auch auf dem Logo des Kinos findet. Seit Stiglbauers Ausscheiden steht das Kino im Eigentum von Johannes Wegenstein, der seit 2003 daneben – mit ähnlichem Mischkonzept – das Top-Kino-Center (Rahlgasse 1, 1060 Wien) führt.

2025 feiert das Schikaneder Kino sein 115. Bestandsjubiläum.

Quellen und Links
www.geschichtewiki.wien.gv.at/Schikanederkino 
www.kinthetop.at/forschung/kinthetop_1_Kammerspiele.html

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